piwik no script img

Auf der Suche nach Bildung

UN-Bildungsinspektor Muñoz besuchte die Erika-Mann-Grundschule in Wedding und das Projekt „Arche“ in Hellersdorf. Er prüft, ob es in Deutschland Bildungsgerechtigkeit gibt

Die Rundreise des Vernor Muñoz Villalobos durch das deutsche Schulsystem führte ihn gestern in die Erika-Mann-Grundschule in Wedding. Drei Stunden nahm der Sonderbeauftragte am Unterricht verschiedener Klassen teil. Anschließend setzte er sich mit Kindern und Eltern zusammen. Er fragte sie nach ihren Erfahrungen mit der Schule. Die Lehrer schickte er raus. „Das ist authentisch“, freut sich Schulleiterin Karin Babbe. „Wir hatten nicht das Gefühl, ein Vorzeigeobjekt zu sein.“ Muñoz ist in Deutschland, um die Bildungsgerechtigkeit zu hinterfragen.

Die Erika-Mann-Grundschule ist wie geschaffen für seine Mission. 400 Schüler aus 16 Ländern besuchen sie. Vier von fünf Kindern haben einen Migrationshintergrund. Die Mann-Grundschule ist ein sozialer Brennpunkt. Die Hälfte der Eltern ist arbeitslos, zwei Drittel leben unterhalb der Armutsgrenze.

Seit 2004 ist Juraprofessor Muñoz weltweit als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung unterwegs. Nach Besuchen in Kolumbien, Indonesien und Botswana ist er nun in Berlin. Auch hier sucht er nach Menschenrechtsverletzungen. Er will der Frage nachgehen, ob sich das Grundgesetz und die Landesverfassungen am „Recht auf Bildung auf der Grundlage der Chancengleichheit“ orientieren. So steht es in der UN-Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland ratifizierte. Denn die Pisa-Studien von 2000 und 2003 hatten ergeben, dass in keinem anderen Industrieland der Schulerfolg so eng an die soziale Herkunft gekoppelt ist wie hier.

Muñoz will die Bildungseinrichtungen unauffällig besuchen, damit er sich ein authentisches Bild machen kann. Als er aber am Dienstag die Sozialeinrichtung „Arche“ in Hellerdorf besuchte, war Muñoz mit einer schwarzen Limousine vorgefahren. Im Regierungsviertel wäre das unbemerkt geblieben; in Hellersdorf hingegen nicht.

Beinahe schüchtern saß der Bildungsinspektor zwischen hundert lärmenden Kindern auf der wöchentlichen „Kidsparty“ in der „Arche“ und suchte das Gespräch mit ihnen. Doch nur drei Mädchen wollten sich mit dem Fremden aus Costa Rica unterhalten. Die meisten wussten überhaupt nicht, wer der dunkelhaarige Mann war.

Kai-Uwe Lindloff erlebt jeden Tag, welche Auswirkungen Armut auf die Bildung hat. „Je ärmer die Familien sind, desto schlechter ist die Ausbildung der Kinder“, erzählt das „Arche“-Vorstandsmitglied. Muñoz hörte Lindloff geduldig zu und fragte gezielt nach: „Sollten solche Einrichtungen nicht vom Staat finanziert werden?“ Lindloff berichtete von Sozialkürzungen, die auf der Tagesordnung stehen. Der Staat ziehe sich aus der Erziehung zurück. Der UN-Sonderbeauftragte nickte und lobte die „Arche“. Er sei sich darüber im Klaren, wie wichtig ihre Arbeit sei. Muñoz’ Reise durch die deutsche Schullandschaft geht weiter. Heute ist er in München.CIGDEM AKYOL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen