Mehr als kleiner Grenzverkehr über Oder und Neiße hinweg

Auch in Polen verzeichnet die ökologische Landwirtschaft großes Wachstum. Die deutschen Kollegen kann das freuen: Im Osten öffnet sich ein neuer Markt

Die Zuwachsraten sind beeindruckend: Als Polen 2004 der EU beitrat, nahm die Zahl der Ökoweiden und -äcker dank der erhöhten Flächenprämien um 66 Prozent zu. Im vergangenen Jahr dürfte sich die Zahl der Biobetriebe sogar verdoppelt haben. Schon geraten die ersten deutschen Biobauern in Panik; sie fürchten die Billigkonkurrenz aus dem Osten. Zu Unrecht, wie sich bei näherer Betrachtung herausstellt.

Zwar stammt inzwischen ein Großteil des Ziegenkäses in der Grenzstadt Görlitz von einem polnischen Hof. Und auch bei der arbeitsintensiven Gemüse- und Beerenobsternte nutzt der ein oder andere polnische Bauer seinen Lohnvorteil gegenüber den deutschen Konkurrenten. Doch die meisten Betriebe sind so klein, dass sie gar keine Chance haben, ihre Ware zu exportieren. „Viele Kuhherden bestehen nur aus zwei oder drei Tieren, und ein Großteil der Biobauern arbeitet im Nebenerwerb auf dem Feld“, erläutert Bernhard Jansen vom Internationalen Zentrum für Ökologischen Landbau Mittel- und Osteuropas. Mehr als 70 Prozent haben weniger als 20 Hektar. Und nur 0,2 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in Polen wirtschaften ökologisch.

Die Verarbeitung von Biolebensmitteln steckt in Polen noch ganz in den Anfängen. Zwar hat sich auch hier die Zahl der registrierten Betriebe binnen Jahresfrist verdoppelt. Doch tatsächlich gibt es gerade mal 30 Firmen, die Biobeeren zu Marmelade verarbeiten, Obst und Gemüse einfrieren oder sich als Großhändler betätigen. Für Milch und Fleisch existieren in Polen bisher keine speziellen Weiterverarbeitungsmöglichkeiten. So sind viele Bauern gezwungen, ihre Ware konventionell zu vermarkten. In den großen Städten gibt es inzwischen etwa 300 Verkaufsstellen – eine Art Reformhäuser, die neben Ökolebensmitteln auch regionale und Diätprodukte anbieten. Vor allem Menschen mit Gesundheitsproblemen kaufen hier ein; langsam wächst aber auch das Interesse anderer Käuferschichten. Doch allgemein ist in Polen die Überzeugung weit verbreitet, alles, was vom Land kommt, sei doch sowieso natürlich und sauber.

Um ein breiteres Sortiment anbieten zu können, müssen die Verkaufsstellen einen Großteil der Ware importieren. „Tatsächlich eröffnen sich gegenwärtig neue Chancen für die deutschen Biobauern. Erst einmal geht mehr von uns dorthin als umgekehrt“, bilanziert Felix Prinz von Löwenstein, Vorsitzender des Bundes ökologischer Lebensmittelwirtschaft. Doch weil auch in Deutschland die Nachfrage gegenwärtig anzieht, ohne dass sich die Anbaufläche sich in gleichem Maße ausweitet, könnten sich die Einkäufer bald intensiver in Polen umschauen. Förderlich dafür dürfte auch die Ankündigung des neuen Ministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz sein, ganz Polen werde gentechnikfrei bleiben.

Neue Aussichten eröffnen sich auch für die ökologische Tierzucht. Bisher haben Biobauern in der Regel nur die Chance, ihre Herden aus Rindern und Schweinen aufzubauen, deren Vorfahren für die konventionelle Landwirtschaft und einseitig auf Hochleistung hin gezüchtet wurden. Die Folge sind häufig Gesundheitsprobleme, die auch dann noch auftreten können, wenn die Tiere artgerecht gehalten und ernährt werden. Auf mancher polnischen Weide stehen jedoch noch „alte Schwarzbunte“.

Menschen wie Anita Idel bekommen beim Anblick dieser Rinder leuchtende Augen. Die Projektkoordinatorin Tiergesundheit und Agrobiodiversität hat es sich zum Ziel gesetzt, traditionelle Tierrassen zu stärken. Dahinter steckt neben ökologische Überlegungen durchaus auch wirtschaftliches Kalkül. Die alten Schwarzbunten geben nämlich nicht nur Milch, sondern haben zugleich auch gutes Fleisch auf den Knochen. Demgegenüber verwandeln Kühe der Hochleistungsmilchrassen fast ihr gesamtes Futter in Milch. „Die männlichen Tiere dieser Rassen sind nur wenig rentabel“, beschreibt Idel die Konsequenz; der Großteil ihres Futters wird zum Kuhfladen.

Um eine ökologische Tierzucht voranzutreiben, wollen Idel und ihre Kollegen auch in Polen alte Schwarzbunte finden. Weil die Populationen in Deutschland mittlerweile sehr klein geworden sind, bestehen Inzuchtprobleme. Eine ganze Reihe Hindernisse muss die Projektmitarbeiter allerdings überwinden. So sind alte Schwarzbunte in Polen nicht registriert, weil sie nicht als heimisch gelten und es deshalb für sie auch keine Fördergelder wie für andere traditionelle Rassen gibt. „Hinzu kommt, dass sich viele Bauern des genetischen Wertes ihrer Tiere gar nicht bewusst sind und sie irgendwann zum Schlachter geben“, beschreibt die Tierärztin und Dozentin die praktischen Probleme. Auch das neu besetzte deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium unterstützt die ökologischen Tierzüchter nicht: Die Zuschüsse für das internationale Kooperationsprojekt, das die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast vor zwei Jahren auf den Weg gebracht hatte, wurden gestrichen. Doch Idel und ihre MitstreiterInnen wollen nicht aufgeben: Schon steht der nächste Fortbildungstermin bei einem polnischen Bioverband in ihrem Terminkalender.

ANNETTE JENSEN