al forno
: Ist die Weißwurst weiblich?

FRANK KETTERER über das seltsame IOC-Regelwerk, das deutschen Rodlerinnen prinzipiell alle Medaillen zuspricht

Aus gegebenem Anlass hat die taz eine kleine, aber überaus repräsentative Umfrage unter den Kollegen gestartet. Nämlich: Was ist – bitte schnell antworten –, also was ist die weibliche Form von Weißwurst? Aus dem Mann vom Spiegel kam es am schnellsten geschossen, nämlich so: „Weißwürstin!“ „Weißwürstin“, pflichtete sofort auch die Kollegin vom Kölner Stadt-Anzeiger bei, womit man die Umfrage beinahe auch schon wieder beendet hätte, wäre da nicht die Kollegin von der Berliner Zeitung gewesen, die Widerspruch einlegte, nämlich in dieser Form: „Weißwurst ist schon die weibliche Form.“ Ist eine verdammt kluge Antwort, dachte man bei sich, aber die Kölner Kollegin wollte diese nicht einfach so stehen lassen und gab nun ihrerseits freche Widerworte: „Die Weißwurst ist doch der Hacklschorsch. Und weil der männlich ist, muss man die weibliche Form schon extra auszeichnen. Also heißt es doch Weißwürstin.“ Ist eine noch klügere Antwort, dachte man diesmal.

Aber noch bevor man der Umfrage zweiter Teil starten konnte („Was ist der Plural von Weißwürstin?“), musste man schon den weiten und beschwerlichen Weg nach Cesana Pariol antreten, wo nur ein paar Stunden später deutsche Fahnen geschwungen wurden und tatsächlich drei rasende Weißwürstinnen in blütenweißen Pellen mit schwarz-rot-gelben Streifen das Podium der Sieger bestiegen, und zwar in umgekehrter Reihenfolge zum Ergebnis des olympischen Rodelrennens der Frauen, nämlich zuerst Tatjana Hüfner, die Drittplatzierte. Dann Silke Kraushaar, die Zweite. Und zu guter Letzt auch noch Sylke Otto, die vierfache Weltmeisterin und ab sofort zweimalige Olympiasiegerin.

Es kann niemand sagen, dass dieser Ausgang des Rennens überraschend kam. Im Frauenrodeln gewinnen nämlich immer die Deutschen, wahrscheinlich ist das irgendwo im olympischen Regelwerk so festgelegt. Das letzte Mal gegen das Regelwerk verstoßen wurde vor zwölf Jahren in Lillehammer, und zwar von der Italienerin Gerda Weissensteiner, die die kriminelle Energie aufbrachte, vor Susi Erdmann ins Ziel zu schlittern. Erdmann hat das Verbrechen, dass da von der Italienerin begangen wurde, so zugesetzt, dass sie kurz darauf keine Weißwürstin mehr sein wollte und die Sportart wechselte. Seitdem fährt sie nicht mehr Schlitten, sondern Bob.

Zur Ehrenrettung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) muss angemerkt werden, dass es nach dem Unrecht von Lillehammer nicht untätig geblieben ist, sondern das Frauenrodelregelwerk entsprechend verschärft hat: Seit Nagano (1998) sind Gold und Silber per Paragraf fest an die rasenden Weißwürstinnen aus Germany vergeben, seit Salt Lake City (2002) ist es gar der ganze Medaillensatz. Den Antrag des Deutschen Weißwürstinnen-Verbandes (DWWV), per Gesetzestext auch noch die Plätze vier und fünf zugesprochen zu bekommen, lehnte das IOC allerdings ab. Sinn hatte der Einlass ohnehin nicht gemacht, bei Olympia dürfen eh nur drei Weißwürstinnen starten.

Diese Frage ist aber auch schon so hochaktuell und äußerst brisant, ohne dass man daraus gleich eine Umfrage machen möchte: Ist das eigentlich der Sinn eines sportlichen Wettkampfs, dass vorher schon feststeht, wer hinterher gewonnen hat? Denn die Weißwürstinnen okkupieren schließlich nicht nur bei Olympia seit Jahren die vorderen Ränge, sondern auch bei Welt- und Europameisterschaften sowie der Rodelei im Weltcup. Sonderlich attraktiv macht das die Sportart nicht, aber wenn man einer der Weißwürstinnen damit kommt, wird die ziemlich schnippisch und man bekommt zum Beispiel von Sylke Otto die Antwort um die Ohren geschlagen: „Sollen wir etwa bremsen, damit die anderen gewinnen?“ Nein, sollen sie natürlich nicht, schon weil Sylke Otto dann vielleicht nie die erfolgreichste Weißwürstin aller Zeiten und somit quasi der weibliche Hacklschorsch geworden wäre, was nun wirklich keiner wollen kann. Außerdem: Bremser gibt es beim Schlittenfahren ja gar nicht, sondern nur im Bob.

Aber irgendetwas einfallen lassen hätten sie sich in all der Zeit schon können, um ihre Sportart ein bisschen interessanter zu machen, auch für die Medien. Zum Beispiel ein kleiner Streit, wie er bei den Eisschnellläuferinnen lange Zeit gang und gäbe war und jede Menge Schlagzeilen geliefert hat. Eine Geschichte über den „Zickenzoff der rasenden Weißwürstinnen“ wäre ganz sicher nach dem Geschmack der Bild-Zeitung und ihrer Leser – und das Fernsehen würde bestimmt auch darüber berichten. Sylke Otto und Silke Kraushaar haben das nach den Spielen von Salt Lake City sogar mal kurz probiert, aber funktionieren wollte es nicht. Und so hat man auch hier aus Cesana Pariol über die rasenden Weißwürstinnen nichts anderes zu vermelden als das Übliche, nämlich: Gold, Silber und Bronze.