Anatomie eines Klassikers

VERMEER „Ruhm der Malkunst“ ist ein Meisterwerk, das Hitler liebte und billig kaufte. Das Kunsthistorische Museum Wien widmet dem Bild Jan Vermeers nun eine Ausstellung

Vermeers kostbares Gemälde steht, hinter Glas gut geschützt, mitten im Ausstellungssaal

VON STEFFEN SIEGEL

Der holländische Maler Jan Vermeer ist der erklärte Liebling des internationalen Kunstpublikums. Sein überaus schmales Oeuvre von 37 Werken bezwingt durch die Intimität der Szenen, die Präzision der Pinselführung und die bezaubernde Darstellung des gemalten Lichts.

So haben gleich zweimal in den vergangenen fünfzehn Jahren Ausstellungen in den Vereinigten Staaten und in Europa versucht, Vermeers Gesamtwerk zusammenzutragen. Doch hatte diese in Washington und Den Haag, in New York und London unternommene Jagd auf Besucherrekorde einen überaus schalen Beigeschmack: Wer die fragilen Gemälde um den halben Erdball verschickt, muss das kaum kalkulierbare Risiko irreversibler Beschädigung in Kauf nehmen. Als programmatische Antwort nicht nur hierauf lässt sich die grandiose Sonderausstellung verstehen, die gegenwärtig das Kunsthistorische Museum in Wien ausrichtet. Nicht mehr als ein einziges Gemälde Vermeers aus der eigenen Sammlung wird präsentiert und zum Gegenstand der „Spurensicherung an einem Meisterwerk“.

Diesen Ausstellungstitel muss man in einem vielfachen Sinn wörtlich nehmen, denn die detektivische Arbeit der Museumsleute wird hier zum Programm. Und es ist auch kein Zufall, dass die Kuratorin Sabine Pénot und die Gemälderestauratorin Elke Oberthaler gleichermaßen für diese Ausstellung verantwortlich zeichnen. Mit allem Nachdruck wird hier der Blick auf ein einziges Gemälde geschärft.

Das Bild entschlüsseln

Es scheint, als solle anhand von Vermeers „Ruhm der Malkunst“ eine Einführung in kunsthistorische Methodik gegeben werden. Sie reicht von der Bestimmung der Pigmentschichten unterm Mikroskop bis zur Entzifferung des Nachlassinventars. Es werden die zahlreichen im Bild präsentierten Objekte entschlüsselt, die Wandkarte etwa wird minutiös ausbuchstabiert. Nachgeschneiderte Kostüme werden genauso gezeigt wie Peter Greenaways Hommage an Vermeer in seinem Film „ZOO“.

Gerade solche Auftritte zeitgenössischer Kunst machen den Witz dieser Ausstellung aus. Wer sich seines Vermeers sicher glaubt, für den haben die Kuratorinnen gleich am Eingang eine Falle errichtet: Die amerikanische Malerin Sophie Matisse, Urenkelin des berühmten Franzosen, hat in ihrer dem Original zum Verwechseln ähnelnden Version kurzerhand die beiden Protagonisten aus dem Atelier geschickt, als käme es auf sie ohnehin nicht an. Und im benachbarten Ausstellungssaal schließlich läuft einer jener wunderbar doppelbödigen Trickfilme, die Maria Lassnig in den 70er-Jahren zeichnete. Das Modell, mit Buch und Trompete in der Hand und dem Lorbeerkranz auf dem Kopf, hat hier vollends die Lust verloren, zum Ruhm einer ihr gleichgültigen Malkunst endlos stillzuhalten und sich den Blicken des Malers auszusetzen. Ihre Verführungskünste jedenfalls sind bei Lassnig gänzlich anderer Art.

Die ungewöhnlichste Entscheidung der Kuratorinnen aber ist zugleich die glücklichste: So kostbar Vermeers Gemälde sein mag, es steht, hinter Glas gut geschützt, als ein allseits begehbares Objekt mitten im Ausstellungssaal. Ausgesprochen ist hierin die Einladung, der Betrachtung der vielfach besehenen Vorderseite und dem Studium der in Originalgröße ausgestellten Röntgen-, Streiflicht- und Infrarotreflektografie-Aufnahmen schließlich auch jene der Rückseite anzuschließen.

Denn gerade hier beginnt die Geschichte des Bildes auf beinahe problematische Weise zu sprechen: Es ist nicht allein ein beachtlicher dunkler Fleck, der von älteren, augenscheinlich unglücklichen Restaurierungen zeugt. Erstaunen erregt vor allem die Zahl der dort eingetragenen Inventarnummern. Neben der nunmehr gültigen „GG 9128“ finden sich auch jener unscheinbare Zettel, der von den verschlungenen Wegen dieses Gemäldes im 20. Jahrhundert berichtet. Als ein Spitzenwerk für das in Linz zu errichtenden „Führermuseums“ erworben, trug es die Nummer 1096 und gelangte in den Privatbesitz Hitlers. Als es nach dem Krieg aus dem Salzbergwerk in Altaussee gerettet war, wurde das Bild ein weiteres Mal, nun mit der 1284, nummeriert.

Ein Restitutionsfall?

Man könnte dieses Nebeneinander von Inventarnummern als eine Marginale zur Herkunft eines Gemäldes abtun, die allenfalls Fachleute interessieren müsste. Doch sieht sich das Kunsthistorische Museum seit dem vergangenen Herbst neuerlich mit einer Rückgabeforderung der Familie Czernin konfrontiert, die bis 1940 Eigentümerin des Kunstwerks war, bevor es in den Besitz Hitlers gelangte. An der wasserfesten Klärung jener Umstände, die im Verb „gelangen“ nachhallen, hängt gegenwärtig das Schicksal des Bildes. Und die Spurensicherung des Kunsthistorischen Museums wird in naher Zukunft um ein bedeutendes Kapitel, nämlich jenes der Provenienz-Geschichte des „Ruhms der Malkunst“ erweitert werden. Die Familie ist der Ansicht, dass der böhmische Graf Jaromir Czernin das Bild Hitler weit unter Preis verkaufte, um seine von den Nazis als „Mischling“ qualifizierte Frau zu schützen.

Es spricht für die Souveränität des Museums, die jüngst aufgeworfenen Probleme in Ausstellung und Katalog ausdrücklich und nicht nur nebenbei anzusprechen. Bleibt zu wünschen, dass einem Museum, das in so verantwortungsvoller Weise mit einem Hauptwerk seiner Sammlung umgeht, dieses auch erhalten bleibt.

■ Kunsthistorisches Museum Wien, bis 25. April. Katalog 29,90 €