Neues AKW in Sichtweite?

Der Niederländische Staatsekretär Pieter van Geel möchte einen neues Atomkraftwerk in den Niederlanden bauen. Als Standort dafür ist das grenznahe Eemshaven am Dollart im Gespräch

Die „Option Kernenergie“ gewinnt derzeit an Popularität in den Niederlanden

von Reimar Paul

Bei seinem Amtsantritt im Mai 2003 gab sich Pieter van Geel noch als entschiedener Gegner der Atomkraft. Diese Art der Stromerzeugung sei wegen der Atommüllproblematik keine Alternative. Doch sein Geschwätz von gestern scheint den für Energie zuständigen Staatssekretär im niederländischen Umweltministerium nicht mehr zu interessieren. Denn Christdemokrat van Geel fordert inzwischen nicht mehr nur den Weiterbetrieb des einzigen verbliebenen niederländischen Atomkraftwerks in Borssele (Seeland), dessen Stilllegung die christlich-liberale Regierungskoalition für 2013 angepeilt hat, sondern er verlangt auch den Bau eines neuen Meilers.

Der müsse innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre erfolgen, um die Energieversorgung in den Niederlanden sicherstellen zu können, sagte van Geel am vergangenen Sonntag in einem Fernseh-Interview. Er bezeichnete die Atomkraft zudem als die einzige Möglichkeit, um den CO2-Ausstoß zu vermindern und die Luftqualität zu verbessern. Argumente, die aus der hiesigen Debatte über längere Laufzeiten der Reaktoren allzu vertraut sind.

Nach Informationen der in Leer erscheinenden Ostfriesen-Zeitung hat van Geel auch schon drei mögliche Standorte für das neue AKW ins Gespräch gebracht. In Frage kommen demnach die Maasvlakte in der Nähe von Rotterdam, Seeland – sowie Eemshaven am Dollart, das in direkter Nachbarschaft zu Ostfriesland liegt.

In Ostfriesland gibt es bislang keine Atomanlagen. In den 1970er Jahren war bei Aschendorf der Bau einer Wiederaufarbeitungsfabrik geplant. Die Bevölkerung erteilte diesem Ansinnen aber eine deutliche Abfuhr, die Aschendorfer Bürgerinitiative war damals die zahlenmäßig größte der Bundesrepublik.

Von einem AKW am Dollart wäre Deutschland als Anrainer unmittelbar betroffen. „Die Frage, was die Bundesrepublik dann unternimmt, stellt sich derzeit doch noch gar nicht“, versucht Michael Schroeren, der Sprecher des Bundesumweltministeriums, zu beruhigen. Er habe zwar Kenntnis davon genommen, dass in den Niederlanden die „Option Kernenergie“ wieder diskutiert werde. Und über die Medien auch von der „Absichtserklärung“ eines niederländischen Staatssekretärs gehört. Von konkreten Bauvorhaben oder gar Standorten wisse er aber bislang nichts, erklärte Schroeren gestern der taz.

„Wenn es irgendwann doch in eine konkrete Phase gehen sollte, dann greift das Europäische Recht“, sagte Schroeren weiter. Und dieses schreibe, wie im Falle des tschechischen Meilers Temelin ja auch geschehen, bei Atomkraftwerken eine grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligung ebenso vor wie eine internationale Umweltverträglichkeitsprüfung.

Doch die Erklärungen van Geels einfach nur abzutun, wäre wohl falsch. Der Staatssekretär steht in der Regierung nämlich nicht allein. Auch einflussreiche Minister wie Laurens Jan Brinkhorst (Wirtschaft) und Bernhard Bot (Äußeres) haben sich in den vergangenen Monaten dafür ausgesprochen, das AKW in Borssele nicht wie vorgesehen 2013 zu schließen und die Atomenergie weiter zu nutzen. Nach Angaben von Greenpeace hat sich in der niederländischen Bevölkerung zuletzt ein Stimmungsumschwung zugunsten der Atomkraft vollzogen.

Ursprünglich sollte der Reaktor in Borssele bereits im vergangenen Jahr stillgelegt werden. Dagegen hatte aber die „Königliche Ingenieursvereinigung“ mobil gemacht. Sie klagte gegen den Schließungsentscheid der Regierung und setzte vor Gericht durch, dass das Kraftwerk bis mindestens zum Jahr 2013 weiterhin Strom erzeugen darf. Das Atomkraftwerk mit einer Leistung von knapp 500 Megawatt deckt rund vier Prozent des niederländischen Energiebedarfs. Ein weiteres holländisches AKW wurde 1997 stillgelegt. Das niederländische Atomprogramm wird durch die Urananreicherungsanlage in Almelo komplettiert.

Unklar ist, ob das mögliche AKW in den Niederlanden ein so genannter Europäischer Druckwasserreaktor (EPR) werden soll. Diese angeblich völlig neuartige Baulinie wird von einem französisch-deutschen Firmenkonsortium entwickelt, an dem auch Siemens beteiligt ist. Prototypen sollen im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluoto entstehen. In Wahrheit ist die größte technische Neuerung beim EPR eine Art Keramikwanne unter dem Reaktor. Sie soll im Fall eines „Super-Gau“ das Durchschmelzen des Kerns verhindern.