Huren befreien sich aus der Abseitsfalle

In Guatemala-Stadt haben Prostituierte ein Fußballteam gegründet, um ihre Sorgen öffentlich zu machen: Chema Rodríguez’ Doku „Estrellas de la Línea“ (Panorama)

Jedes Jahr gelten nach Angaben des Genfer „Centre for the Democratic Control of Armed Forces“ weltweit hunderttausende von Frauen als vermisst. In dieser unerklärten Kampfzone darf man die Heldinnen von Chema Rodríguez’ Dokumentarfilm „Estrellas de la Línea“ an vorderster Front sehen. Denn sie sind die billigsten Nutten von Guatemala-Stadt. Sie kosten zwei Dollar, und entsprechend muss der Wert ihres Lebens, ihrer Gesundheit, ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit angesetzt werden.

Diesem Umstand, besser: der unerhörten Begebenheit, dass die Prostituierten gegen die ständige Gewalt und Todesdrohungen aufzubegehren begannen, verdankt sich Rodríguez’ Film. Die Sexarbeiterinnen haben ein Fußballteam gebildet, um über den Sport auch mit ihren Sorgen in die Öffentlichkeit vorzudringen.

Gleich ihr erster Auftritt gegen eine Collegemannschaft wird zum Skandal, als sich herausstellt, dass die Railroad All-Stars tatsächlich die geächtete Attraktion jener verrufenen Gegend entlang „La Linea“ sind, in die kein anständiger Bürger seinen Fuß setzt. Valeria, Vilma, Mercy und die queere Marina wissen ihre Sache gut zu verteidigen. Auf sie kann sich Chema Rodríguez verlassen, für eine jederzeit eindrückliche, dramaturgisch allerdings vollkommen konventionelle Dokumentation. Strikt chronologisch arbeitet sie sich von Station zu Station des Fußballfeldzugs gegen die Gewalt und die Verachtung voran, um die Frauen zwischendurch als talking heads ihre Geschichten erzählen zu lassen .

Den filmischen Drive liefern interessanterweise die Nachrichtenbilder des Fernsehens. Die im katholischen Guatemala besonders heiklen Auftritte der Railroad All-Stars entwickeln hier unwillkürlich eine surreale Qualität. Die Nachrichtenclips wirken wie schmerzhafte Injektionen gesellschaftlicher Realität in den solidarisch geformten Gruppenkörper, dessen energisch-fröhliches Bild der Film beschwört, und sie bereiten damit schon das für die Frauen ergebnislose Ende vor. Deren Charme aber, den das Mannschaftsmaskottchen, eine alte, ausgediente, einäugige Prostituierte, in ihrer völlig unerwartet verführerischen Art geradezu beispielhaft verkörpert, macht es fast unmöglich, nicht an den Sieg der Frauen zu glauben, im Fußball wie im Alltagsleben. Doch der 8:1 Sieg am Ende ihrer landesweiten Tour, bleibt der einzige Sieg der All-Stars. Im Abspann des Films kann Chema Rodríguez immerhin über den weiteren Weg seiner Protagonistinnen Auskunft geben. Valeria, Vilma, Mercy und Marina gelten bisher nicht als vermisst. BRIGITTE WERNEBURG

„Estrellas de la Línea“. R: Chema Rodríguez. E 2005, 90 Min. 17. 2., 17 UhrCineStar 7; 18. 2., 22.30 Uhr CineStar 7