Schatten über Skijägern

Die Russin Olga Pylewa, Silbermedaillen-Gewinnerin von Turin, wird als Doperin entlarvt. Martina Glagow rutscht nun auf den Silberrang vor, die einzige Top-Platzierung deutscher Biathletinnen

„Wenn das stimmt, dann sollte sie lebenslänglich gesperrt werden“

AUS SAN SICARIOANDREAS MORBACH

Ein bisschen seltsam war das in letzter Zeit schon gewesen mit Olga Pylewa. Ihr eigenes Süppchen hat die 30-jährige Russin in der Welt des Biathlons gekocht. Nie trainierte sie da, wo die anderen trainierten, sondern immer schön für sich allein. Zu den Wettkämpfen tauchte sie dann auf, holte Weltmeistertitel, war im Weltcup erfolgreich und gewann vor vier Jahren beim olympischen Verfolgungsrennen in Salt Lake City Gold.

Auch in Turin stand die unnahbare Biathletin schon wieder auf dem Treppchen. Über 15 Kilometer holte Pylewa am Montag Silber – drei Tage später musste sie das Edelmetall wieder abgeben. Denn seit gestern haben diese Spiele ihren ersten prominenten Dopingfall: Olga Pylewa wurde sowohl in der A- wie auch in der B-Probe positiv auf Carphedon getestet. Wegen der Einnahme dieses verbotenen Mittels ist bereits der Radfahrer Danilo Hondo für zwei Jahre gesperrt worden, dieselbe Strafe sieht die Internationale Biathlon-Union für ein derartiges Vergehen vor.

Uschi Disl findet das viel zu wenig. „Wenn das stimmt, dann sollte sie lebenslänglich gesperrt werden“, forderte die Bayerin, als sie im gestrigen Sprintrennen in San Sicario als schlechteste der vier deutschen Starterinnen nur auf Rang 34 eingelaufen war. Ihre frühen Startpositionen erwiesen sich dabei auch für Disls Team-Kolleginnen als Nachteil: Nachdem die DSV-Läuferinnen den frisch gefallenen Schnee mit ihren Skiern fein aus der Loipe geschoben hatten, wurde die Spur und damit auch die später gestarteten Frauen schneller – auch dank dieser Hilfe gewann die Französin Florence Bavarel-Robert mit Startnummer 46 überraschend Gold vor der Schwedin Anna Carin Olofsson und Lilia Efremowa aus der Ukraine.

Neben der für sie günstigen Wetterprognose am Morgen bekam die Siegerin im Biathlonstadion dann aber auch sehr rasch Wind vom Dopingvergehen Pylewas. „Ich habe davon gehört, aber ich will nicht so viel daran denken“, sagte die Französin nach ihrem Triumph. „Das mit Pylewa ist sehr schade, und das tut unserem Sport nicht gut.“

Bei Martina Glagow saß der Schreck über die Nachricht aus dem russischen Lager so tief, dass sie am liebsten gar nichts damit zu tun gehabt hätte. Auf der 15-km-Strecke war sie hinter Pylewa Dritte geworden. Ihre Bronze verwandelt sich nun in Silber. „Mir wär’s lieber, wenn alles so bleiben würde, wie es ist“, sagte Glagow im Zielraum mit leiser Stimme und verwies auf die noch ausstehende Anhörung. Denn für die kleine Frau aus Mittenwald stand fest: „Auf diese Art will ich keine Silbermedaille gewinnen. Ich mag meine Bronzemedaille nicht hergeben.“

Weder Gold noch Silber hat bei diesen Winterspielen bislang Kati Wilhelm gewonnen – auch gestern nicht. Siebte und damit beste Deutsche war sie nach 7,5 Kilometern Laufen und zwei Einlagen am Schießstand. Hätte auch ihr allerletzter von zehn Schüssen getroffen, wäre sie wie erwartet zu Gold gekommen. Dass sie es nicht geschafft hatte, fuchste die Frau mit den roten Haaren unter der roten Mütze gewaltig. Gleichzeitig litt sie unter den deutschen Biathletinnen noch am ehesten mit Olga Pylewa mit. „Ich mag sie, sie ist immer freundlich“, versuchte die 29-Jährige aus Steinbach-Hallenberg verzweifelt ein paar freundliche Worte über die gedopte Kollegin zu finden und sagte: „Hoffentlich hat sie nur eine Medizin genommen.“

Carphedon ist das Abbauprodukt des Wirkstoffs Bromantan. Das Mittel war in den Neunzigerjahren in Russland zu Militärzwecken entwickelt worden. Es hilft, den Körper leistungsfähiger und widerstandsfähiger gegen Kälte zu machen. Zumindest der zweite Aspekt hätte der Russin, die gestern kurz vor dem Rennen von der Startliste gestrichen wurde, allerdings nicht geholfen: Den Schneeflocken am Morgen folgte Tauwetter – und es war alles andere als kalt in San Sicario.

Ein eisiger Wind weht ab sofort den Biathleten entgegen. „Die Dopingproben sind erschreckend für den Biathlon-Sport. Denn jetzt heißt es wieder: Die sind alle gedopt“, sagte Uschi Disl. Und ihre Mannschaftskollegin Katrin Apel, gestern 22., erklärte: „Ich bin einfach schockiert. Das wirft einen Schatten auf die ganze Sportart.“ Ein Schatten, den Uschi Disl eigentlich schon vertrieben glaubte. „Ich habe nicht gedacht, dass es so etwas bei uns gibt“, erklärte die 35-Jährige entsetzt. „Denn in den letzten Jahren war es in dem Punkt im Biathlon doch sehr ruhig geworden.“ Seit gestern ist es mit der Ruhe fürs Erste vorüber.