Ruanda-Tribunal verlegt Prozess

Erstmals findet ein Verfahren des UN-Ruanda-Tribunals im Ausland statt – in Norwegen

BERLIN taz ■ Zum ersten Mal kommt ein Angeklagter des UN-Tribunals für den Völkermord in Ruanda außerhalb des Tribunalsitzes im tansanischen Arusha vor Gericht. Michel Bagaragaza, während des ruandischen Genozids Direktor der staatlichen Teebehörde des Landes, soll in Norwegen vor Gericht kommen, erklärte die Anklagebehörde am Mittwoch. Bagaragaza sitzt derzeit in den Niederlanden in Haft.

Das Ruanda-Tribunal in Arusha wurde 1995 eingerichtet, um die Verantwortlichen des Völkermords an mindestens 800.000 Menschen in Ruanda 1994 abzuurteilen. Bislang hat es aber erst 72 Verdächtige in Haft genommen. 23 wurden verurteilt, 5 freigesprochen, einer ist gestorben, 28 stehen derzeit vor Gericht, und 15 sitzen in Untersuchungshaft. 19 Angeklagte werden noch gesucht und halten sich laut UNO im Kongo und Kenia auf. Nach UN-Planungen sollen die laufenden Prozesse bis 2008 abgeschlossen sein, die Arbeit des Tribunals soll 2010 enden.

Die juristische Aufarbeitung des Völkermords soll dann vor allem in Ruanda weitergehen. Chefankläger Hassan Jallow erklärte dem UN-Sicherheitsrat im Dezember, 30 Anklageschriften seien an Ruandas Justiz übergeben worden und drei an „europäische“ Jurisdiktionen, die um Hilfe gebeten wurden. Davon ist Norwegen jetzt das erste Land.

In den jeweiligen Ländern werden die Angeklagten nach nationalem Recht behandelt. Dies ergibt Probleme, denn so gilt in Ruanda noch die Todesstrafe, obwohl sie nicht mehr angewendet wird; in Norwegen hingegen gibt es nicht einmal den Straftatbestand des Völkermordes, sodass Bagaragaza laut UNO der „Beihilfe zum Mord“ angeklagt werden muss. Er muss so mit höchstens 21 Jahren Haft rechnen. Ruandas Vertreter beim Tribunal kritisierte gestern die Überweisung des Verfahrens an Norwegen.

Bagaragaza, Chef der für Ruandas Exportwirtschaft wichtigen Teebehörde, soll bei den Planungen zur Ermordung der Tutsi im nordwestlichen Distrikt Gisenyi 1994 mitgewirkt haben. Ihm wird vorgeworfen, Milizen die Suche nach geflohenen Tutsi auf Teeplantagen erlaubt zu haben. Er soll ihnen Waffen und Benzin aus den Depots der Teebehörde gegeben und seine Angestellten angewiesen haben, mit den Milizen zu kooperieren. Nach dem Zusammenbruch des für den Völkermord verantwortlichen Regimes war Bagaragaza nach Kenia geflohen und hatte sich im August 2005 dem UN-Tribunal freiwillig gestellt, vermutlich auf Grundlage einer Kronzeugenregelung. DOMINIC JOHNSON