Lager der Grausamkeiten

Die Gefangenen in Guantánamo sind rechtlos. Ein Bericht von UN-Experten fordert die sofortige Schließung des US-Lagers

VON KARIM EL-GAWHARY
(KAIRO) UND BERND PICKERT

Eine Gruppe von Experten der UNO-Menschenrechtskommission hat in einem gestern veröffentlichten Bericht (s. www.ohchr.org) die sofortige Schließung des US-Gefangenenlagers in Guantánamo gefordert. Die Gefangenen, die sich derzeit in Guantánamo befinden, sollten entweder vor ordentliche Gerichte gestellt oder freigelassen werden, fordern die Experten. Bis zur Schließung, heißt es weiter, sollte die US-Regierung von allen Praktiken der Folter oder der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung von Häftlingen absehen.

Die Kernaussagen des Berichtes waren Ende vergangener Woche bekannt geworden. Sean McCormack, der Sprecher des US-Außenministeriums, hatte sofort erklärt, die Vorwürfe beruhten auf bloßem „Hörensagen und Behauptungen“. (siehe Interview)

Der Bericht, in dem neben der Schließung von Guantánamo noch weitere Maßnahmen zur Einhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terror gefordert werden, wird auf der nächsten Sitzung der UN-Menschenrechtskommission beraten. Offenbar abgeschreckt durch die harsche Reaktion der USA hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan bereits am Dienstag betont, es handle sich nicht um einen Bericht der Vereinten Nationen, sondern von fünf unabhängigen Experten. Louise Arbour, UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, sagte gestern, sie mache sich nicht alle Empfehlungen des Berichts zu Eigen, sehe aber zur Schließung Guantánamos keine Alternative.

Die fünf Experten, darunter der UN-Sonderberichterstatter zu Folter, Manfred Nowak, und die Vorsitzende der UN-Arbeitsgruppe zu willkürlichen Verhaftungen, Leila Zerrougui, hatten seit Juni 2004 die Situation in Guantánamo untersucht.

Die Veröffentlichung des Guantánamo-Berichts fällt zusammen mit der Veröffentlichung neuer Bilder vom Folterskandal im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis. Die ursprünglich am Mittwoch im australischen Fernsehsender SBS ausgestrahlten Fotos und Videos liefen gestern stündlich in den arabischen Fernsehnachrichten. Auch alle größeren arabischen Zeitungen veröffentlichten eine Auswahl der Fotos.

„Die Bilder zeigen, wie krank die US-Soldaten sind, die darin verwickelt waren“, schreibt die arabische Tageszeitung Al-Quds Al-Arabi. „Es gibt nichts Schlimmeres als einen wehrlosen, nackten Menschen, der unmoralischen Taten ausgesetzt ist. Diese Soldaten repräsentieren die US-Regierung im Irak, und sie sollten ein Modell für eine hohe militärische Moral darstellen.“ Damit, dass einige der beteiligten Soldaten bereits verurteilt wurden, gibt sich Al-Quds al-Arabi nicht zufrieden: „Das waren nur Bauernopfer, um die Köpfe an der Spitze der Hierarchie zu schonen.“

Aus dem Pentagon hieß es lediglich, auf den Bildern sei nichts Neues zu sehen. Die Fotos seien bereits Bestandteil der inzwischen abgeschlossenen Ermittlungen gewesen. John Bellinger, ein Rechtsberater im US-Außenministerium, erklärte gegenüber der BBC, die Bilder hätten besser nicht veröffentlicht werden sollen, um „die Privatsphäre der gezeigten Personen“ zu schützen.

Der irakische Premier Ibrahim al-Dschaafari hat die auf den Bildern gezeigte Folterpraxis verurteilt, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Täter bereits verurteilt seien. Menschenrechtsministerin Nermine Othman forderte weitere Maßnahmen gegen die Verantwortlichen, auch wenn einige der Täter bereits verurteilt wurden.

Für das offizielle Bagdad kommt die Affäre zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt. Eine neue Regierung wird geformt, in der erstmals auch sunnitische Politiker vertreten sein sollen. Bei den in Abu Ghraib Gefangenen handelte es sich meist um Sunniten. Für Präsidentenberater Wafiq al-Samarai gibt es keine Rechtfertigung für diese Taten, aber er versucht die Wogen zu glätten: „Die Bilder sind zwei Jahre alt, die Täter wurden bestraft und die Regeln für die Gefängnisse seitdem verändert.“

„Ist das die Demokratie und die Freiheit, die sie uns bringen wollten“ ist eine auf den Straßen Bagdads seit gestern immer wieder zu hörenden Frage. Doch viele Iraker winken auch ab. „Es war nicht richtig, diese Bilder im Fernsehen zu zeigen. Im Prinzip wussten wir, was in Abu Ghraib los war“, sagt eine Bekannte aus Bagdad am Telefon. Sie fürchtet, dass die neuen Bilder nur wieder zu mehr Gewalt und mehr Problemen führen werden. „Und davon“, sagt sie „haben wir in Bagdad mehr als genug.“