OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

In seinen Filmen wird viel und gern geredet, und die Protagonisten beleuchten ihre Probleme so lange von allen erdenklichen Seiten, bis sie sich schließlich im Kreis drehen. Entscheiden – etwa für den richtigen Partner – können sich Eric Rohmers Helden kaum einmal, zumal sie in der Regel irgendwelchen paradoxen Prinzipien und Idealen anhängen, die sie ganz entschieden am Entscheiden hindern. Schließlich sagen sie dann Sätze wie: „Ich habe mich entschieden, um mich zu entscheiden“ – aber das ist garantiert auch nicht ihr letztes Wort. Als Hommage anlässlich des Todes von Rohmer, der am 11. Januar 89-jährig verstarb, zeigt das Arsenal eine Reihe seiner schönsten Alltagskomödien: Jean-Claude Brialy muss angesichts von „Claires Knie“ (1970) moralische Grundsatzentscheidungen treffen, und in „Pauline am Strand“ (1983) kann die 15-jährige Titelheldin dabei zusehen, wie sich ihre ältere Cousine beim Urlaub mit trefflichem Gespür die falschen Männer aussucht. Dabei erzählt Rohmer seine Geschichten mit ebenso hintersinnigem wie unterhaltsamen Witz. Deshalb muss man dem Eindruck von Harvey Keitel unbedingt widersprechen, der in Arthur Penns Film „Night Moves“ einmal gefragt wird, ob er mitkäme, um sich Rohmers „Meine Nacht mit Maud“ anzuschauen. Er antwortet, dass er schon mal einen Rohmer gesehen habe: „Das ist, als ob man Farbe beim Trocknen zuguckt.“ („Claires Knie“, OmeU, 4. + 10. 3., „Pauline am Strand“, OmeU, 6. + 8. 3., Arsenal)

Ebenfalls einer der großen des Weltkinos war Carl Theodor Dreyer, dem das Arsenal im März eine Retrospektive widmet. Die Filme des dänischen Regisseurs kreisten meist um religiöse und metaphysische Themen – große kommerzielle Erfolge konnte er damit natürlich nicht erzielen. Sein wohl bekanntestes Werk „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ (1928) erzählt von den Verhören und dem Prozess der Jeanne d’Arc und ist von ruhigen, aber expressiven Großaufnahmen geprägt, in denen Dreyer das leidende Gesicht der Hauptdarstellerin Maria Falconetti und die Charakterköpfe ihrer Richter erkundet. Ebenfalls ein Klassiker: „Vampyr“ (1932), ein irreal anmutendes Licht- und Schattenspiel um die (alb)traumähnliche Suche eines jungen Mannes nach übernatürlichen Phänomenen in einem abgelegenen Gasthof. („Die Passion…“ 9. 3.; „Vampyr“ 10. 3. im Arsenal)

Angesichts der Probleme, vor die uns technische Neuerungen doch immer wieder stellen, ist es faszinierend zu sehen, mit welcher Naivität und Freude der Fortschrittsgedanke etwa in den Zwanzigern noch abgefeiert wurde. Sergej Eisenstein erhielt beispielsweise von Stalin den Auftrag, einen Film zu drehen, der die Entwicklung des rückständigen russischen Dorfs zur superproduktiven Agrargenossenschaft zum Thema hat: „Die Generallinie“ feiert daher nicht nur die mutige Bäuerin, die sich aus bitterster Armut zur strahlenden Sowjet-Traktoristin emporarbeitet, sondern auch Butterzentrifugen und neue Rinderzuchtmethoden in orgiastischen Montagesequenzen. Avantgarde und Rindersex für den Fortschritt. (4. 3. Arsenal) LARS PENNING