B-Boying mit Meister Proper

X-Beine, Plié, Sixstep und sogar ein bisschen Englisch: Im Workshop des HipHop-Tänzers Niels „Storm“ Robitzky lernen Kinder nicht nur, sich zu verknoten und trotz Muskelkater weiterzuproben. Der Tänzer tritt am Sonntag im Rahmen des Festivals „Context #3 – Learning By Doing“ im HAU auf

VON JAN KEDVES

Die Schrittfolge ist nicht gerade simpel: Ein Kick nach vorne, dann die Knie zum X zusammenschieben, danach die Füße schräg zur Seite drehen, Plié. Noch ein Armschlenker und ein Kopfnicken dazu, schon besteht Verknotungsgefahr. Zumindest für Menschen, die nicht professionell tanzen. Menschen wie die Berliner Grund- und Oberschüler, die in den letzten Tagen das Tanzfestival „Context“ am HAU bevölkern.

Ein Mann mit Glatze zeigt die Bewegungen vor einer Spiegelwand in der Kreuzberger Tanzfabrik, immer wieder. 25 Kinder zwischen 8 und 14 Jahren starren gebannt auf seine Beine: Nein, das ist nicht Royston Maldoom aus „Rhythm Is It!“, das ist Niels „Storm“ Robitzky, Berlins bekanntester HipHop-Tänzer. Er wurde von Bettina Masuch, der Tanzkuratorin des HAU, dafür engagiert, Schulkindern eine Woche lang Popping, Locking und B-Boying beizubringen.

Berliner Schulkinder müssen in letzter Zeit etwas den Überblick verlieren angesichts der vielen Tanzprojekte, die sich um ihr Wohl bemühen: Neben den Berliner Philharmonikern bietet schon das Projekt TanzZeit mit renommierten Choreografen wie Sasha Waltz Schülern die Möglichkeit, ihren Körper zu erproben. Und nun soll auch „Learning By Doing“, die dritte Ausgabe von „Context – Plattform für zeitgenössischen Tanz“, das kompensieren, was in der Schule zwischen ausgefallenem Kunstunterricht und gehetzter Sportstunde verloren geht.

Angesprochen auf die Idee, den Erlebnisraum Theater und den Sozialraum Schule mal zusammenfallen zu lassen, entwickelten die Lehrer dreier Klassen aus Neukölln, Steglitz und Tiergarten so viel Engagement, dass Kuratorin Bettina Masuch, eine drahtige Person mit entschiedenem Blick, immer noch staunt: „Ich hätte nie gedacht, dass es im deutschen Schulsystem so einfach ist, für ein Tanzprojekt eine Woche schulfrei zu bekommen!“ Das Festival startete dann vergangenen Montag zu einer für Theatermenschen absurden Zeit – um neun Uhr morgens.

Neben dem Arbeiten mit Kindern, erklärt Masuch, gehe es ihr mit „Learning By Doing“ auch darum zu zeigen, dass die unausgesprochene Verabredung, Theater beruhe auf einem bürgerlichen Bildungskanon, heute nicht mehr gelte. Deswegen beziehe das Tanzfestival eben auch Stellung zu Themen wie Bildungsnotstand und Bewegungsmangel.

„Learning By Doing“ versucht das nicht nur mit Workshops, in denen die Kinder beispielsweise SMS-Texte nachtanzen, sondern vor allem mit einem starken Fokus auf HipHop: Die drei Shows des jüngst durch David LaChapelles Tanzfilm „Rize!“ bekannt gewordenen Tommy the Clown und seiner Crew aus L.A. wurden Anfang der Woche frenetisch bejubelt. Bettina Masuch schätzt HipHop nicht nur, weil er Schüler anspricht und ein volles Haus garantiert, sondern weil er „eine Kunstform ist, die jenseits der offiziellen Kultur stattfindet und sich durch Selbstorganisation von Wissen vorantreibt“. Learning by doing eben.

Niels „Storm“ Robitzky, seit Anfang der Achtziger ein HipHop-Pionier und seit 1992 regelmäßig auch auf Theaterbühnen zu Gast, sieht das ganz ähnlich: Tanzen könne man nicht aus dem Handbuch lernen. Um in der Szene Anerkennung zu bekommen, müsse ein HipHop-Tänzer einen unverwechselbaren Stil entwickeln. „Dass ich hier mitmache, haut also voll hin“, meint der 36-jährige Autodidakt, der sich den Spaß auch von mehreren Bandscheibenvorfällen und angebrochenen Nackenwirbeln noch nicht hat vermiesen lassen. „Ich selbst bin nicht sehr bewandert, was Contemporary Dance angeht“, gibt er mit einem einwandfreien Meister-Proper-Grinsen zu. Und verrät: Bei zeitgenössischem Tanz im Theaterkontext habe er häufig den Eindruck einer etwas zu elitären Angelegenheit, die sich nicht groß darum kümmere, ob das Publikum Zugang zum Gesehenen finde.

Bei seiner im Rahmen von „Learning By Doing“ für Sonntag angesetzten Soloshow „Virtuelevation“ dürfte es dieses Problem nicht geben: Storm kündigt sie als „Lecture-Performance“ an, also als Kombination aus erklärenden Wortbeiträgen und Tanzeinlagen. Dass im Parkett des HAU1 für das gesamte Festival die Bestuhlung herausgenommen wurde, soll dabei zusätzlich – so Kuratorin Masuch – „die Grenze zwischen Aktiv und Passiv“ verschwimmen lassen.

Das mit dem Mitmachen klappt derweil auch in der Tanzfabrik schon ganz gut, wo Storm tagsüber seinen Workshop abhält. Aus den Boxen pumpt statt Berliner Aggro-Sound butterweicher R&B. Der Sixstep, den Storm den 25 Kindern gestern gezeigt hat – eine Figur, bei der man auf allen Vieren mit den Füßen um sich selbst herumtrippelt –, scheint die Racker ganz schön geschafft zu haben: „Storm! Storm! Wir haben Muskelkater!“, beklagen sie sich lautstark. Der kontert mit angekratzter Stimme: „Ich auch!“ Die Workshop-Tage haben seinen Stimmbändern ganz schön zugesetzt. Doch da hat er eine Idee: Zeichensprache statt Brüllkommando. Bevor er mit der komplizierten Kombination aus Kick, X-Beinen und Ballett-Plié weitermacht, baut er sich vor dem Spiegel auf, wartet, bis alle Kinder schauen, und tippt dann mit flacher Hand auf seine Glatze. „Wenn ich das hier mache, bedeutet das ‚from the top‘, also ‚noch mal von vorn‘!“ Die Kids springen begeistert auf ihre Ausgangsposition. Gut, dass der Englischlehrer heute nicht dabei ist.

Präsentation der Workshop-Ergebnisse: 19. 2., 16 Uhr, HAU3. Niels „Storm“ Robitzkys Solo-Programm „Virtuelevation“: 19. 2., 20 Uhr, HAU1. Weitere Infos zum Festival: www.hebbel-am-ufer.de