Madonna vs. Madonna

Religiöse Eiferer wüten in Polen gegen ein Musikmagazin, weil es Popstar und Heilige verschmolz. Große Firmen wie Philips und Orange sind bereit eingeknickt und schalten keine Anzeigen mehr

aus Warschau GABRIELE LESSER

Religiöser Fanatismus war in Polen bislang die Spezialität rechtsradikaler katholischer Gruppen rund um den Sender Radio Maryja. Doch die Aufregung um die Mohammed-Karikaturen aus Dänemark in der muslimischen Welt überdeckt, dass in den letzten Wochen die polnische Polizei immer öfter ausrückt, um „gotteslästerliche Kunstwerke“ zu beschlagnahmen.

Journalisten und Künstler stehen vor Gericht, weil sie angeblich die „religiösen Gefühle der Katholiken beleidigt“ haben.

Jetzt reihen sich in den Chor der „religiös Beleidigten“ auch die Paulinermönche des Klosters Jasna Gora (Heller Berg) in Tschenstochau ein.

„Wir sind entsetzt darüber, dass das Gnadenbild der Muttergottes von Jasna Gora zu kommerziellen Werbezwecken benutzt wird“, schreiben sie auf der Internetseite ihres Klosters. „Diese Reklamekampagne ist eine Sünde, sie ist ethisch hässlich.“ Grund für die jüngste Aufregung ist der Madonna-Titel des Musikmagazins Machina.

Das Cover ziert die berühmte Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstochau – mit dem geradezu engelgleichen Gesicht der Pop-Madonna. Die statt des Jesuskindes auch noch ihre Tochter Lourdes im Arm hat. Das Wortspiel „Madonna z Lourdes“ auf dem Titel funktioniert allerdings nur auf Polnisch. Denn es kann einerseits „Madonna mit Lourdes“ (womit Mutter und Tochter gemeint sind) bedeuten, zum anderen aber auch „Madonna aus Lourdes“, womit die Redaktion die geradezu „ikonenhafte“ göttliche Verehrung von Stars in der Musikbrache kritisieren will.

„Die aktuellen Ereignisse in der Welt zeigen, wohin der Missbrauch religiöser Bilder und Symbole führen kann“, erklären die Mönche mit Blick auf den Streit über die Karikaturen des Propheten Mohammed.

„Entsetzt“ über den angeblichen Missbrauch der Ikone zu profanen Zwecken sind aber auch radikale Katholiken, die nun zum Boykott der Zeitschrift und der dort werbenden Firmen aufrufen. Auf ihrer Internetseite, die wie zum Hohn tolererancja .net heißt, veröffentlichten sie eine schwarze Liste von Firmen und Protestmusterbriefe, etwa: „Wenn Sie nicht versprechen, nie wieder bei Machina eine Anzeige zu schalten, werden wir und unsere Freunde ihre Produkte boykottieren!“ Eingeknickt sind bereits Philips, der Handybetreiber Orange und die Telekom Polens. Die Entschuldigungsbriefe der Firmen sind auf tolerancja.net nachzulesen – die jüngsten Jagdtrophäen der radikalen Katholiken Polens.

Machina-Chefredakteur Piotr Metz kann die Aufregung über den Madonna-Titel nicht verstehen. Seine Zeitung wollte mit der Fotomontage nicht religiöse Gefühle verletzen, sondern den quasireligiösen Kult um Popstars illustrieren. Und wenn man schon über die wirtschaftliche Ausbeutung der Muttergottes-Ikone spreche, so Metz, „dann geschieht dies doch in erster Linie in Tschenstochau selbst, wo ein schwunghafter Souvenirhandel mit ihrem Bildnis betrieben wird. Das sollte doch wohl erst recht Protest hervorrufen.“

Christliche Motive wie das letzte Abendmahl, die Kreuzigung und Madonna mit Kind seien keine rein sakralen Bilder und Symbole mehr. Vielmehr seien sie allgemein bekannte Motive, die im Alltagsbewusstsein vieler Menschen funktionierten, sagt Metz. Die Kunst benutze diese Motive seit Jahrhunderten und wandle sie immer wieder ab. Metz hat Recht: Auf dem Titelbild der Januar-Ausgabe der US-Musikmagazins Rolling Stone prangte der Rapper Kanye West als Christus mit der Dornenkrone.

Doch Polens Medien-Ethikrat ließ sich von Metz Argumentation nicht überzeugen. Das Titelbild sei „ein skandalöser Vorfall“. Die Zeitschrift habe das „Prinzip von Respekt und Toleranz“ verletzt. Gestern war die Madonna-Madonna sogar Thema einer Anfrage im polnischen Parlament. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Innerhalb von 30 Tagen muss sie nun entscheiden, ob gegen Machina wegen „Beleidigung religiöser Gefühle von Katholiken“ Anklage erhoben wird.