Ihn faszinierte der Gegenstand

AUSSTELLUNG Anton Stankowski ist einer der prägenden Designer der Bundesrepublik und Mitbegründer der Schweizer Industriegrafik. Nun zeigt ihn das Stuttgarter Kunstmuseum als Fotograf

Anton Stankowskis Fotografien sind sachlich und klar. Und sie zeichnen sich durch enorme Präzision aus

VON CHRISTIAN HILLENGASS

Mit einem „Schrägstrich im Quadrat“ hat sich Anton Stankowski 1972 verewigt. Das Logo, das der 1906 geborene Sohn eines Bergmanns für die Deutsche Bank entwarf, hat einen festen Platz im kollektiven Bildgedächtnis der Bundesrepublik eingenommen.

Die visuelle Spur, die der Grafiker Stankowski im Nachkriegsdeutschland hinterlassen hat, lässt sich anhand von mehr als 60 Markenzeichen verfolgen, die er für öffentliche Veranstaltungen, Organisationen, Wirtschaftsunternehmen und Städte gestaltet hat. Darunter die Schriftzüge von REWE, des Heizungsbauers Viessman oder das Erscheinungsbild der Olympischen Spiele in München.

Die Einheit der Kunst

Sein praktisch-grafisches Arbeiten hatte dabei immer einen engen Bezug zu seinem freien künstlerischen Schaffen und umgekehrt. Stankowski unterschied nicht zwischen freier und angewandter Kunst und betonte stets deren Einheit. Aus diesem Verständnis entstand ein Gesamtwerk, das abstrakte, für sich stehende Formschöpfungen genauso beinhaltet wie konkrete, objektbezogene Darstellungen für Industriegrafik und Werbung.

Einen großen, aber bislang weniger beachteten Anteil in diesem Werk macht Fotografie aus, die nun Gegenstand einer Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum ist. Stuttgart wird für Stankowski zur Wahlheimat, nachdem er 1938 als Deutscher seine Arbeitserlaubnis in der Schweiz verliert. Die Stadt ist bis zu seinem Tod 1998 das Zentrum seines Schaffens als Maler, Journalist, Grafikdesigner und Fotograf.

Stankowski stößt zur Fotografie, als das Medium an einem Wendepunkt steht. Kleinbildkameras kommen Mitte der zwanziger Jahre auf den Markt und ermöglichen eine mobile Fotografie, die bald auch preislich erschwinglich wird. Die Folkwangschule für Gestaltung in Essen, an der er nach seiner Ausbildung als Dekorationsmaler von 1926 bis 1928 studiert, ist eine der ersten Hochschulen, die Fotografie auf den Lehrplan hat. Hier lernt er bei Max Burchartz eine klare, direkte Bildsprache und das Handwerkszeug für die „Typoreklame“, der Montage von Fotografien und Schriftzügen, durch die sich in der Werbegrafik völlig neue Möglichkeiten ergeben.

Eines der damals renommiertesten Werbebüros, die Max Dalang AG in Zürich, stellt ihn nach Abschluss seines Studiums an. Fotografie wird in der Schweiz zu dieser Zeit noch kaum in der Werbung eingesetzt, und so wird er dort zum Wegbereiter und Mitbegründer der fotografiegestützten konstruktiven Schweizer Werbegrafik, die bald internationale Maßstäbe setzt.

Um für seine Arbeit aus dem Vollen schöpfen zu können, beginnt er ein Bildarchiv anzulegen, für das er systematisch alles fotografiert, was sich für den werbegrafischen Gebrauch eignen könnte. Vom Bahnviadukt bis zum Brathühnchen findet alles Eingang; selbst privat aufgenommene Bilder. So kommt von den 1920er bis in die 1980er Jahre ein Konvolut von über 40.000 Aufnahmen zusammen, das er mit Karteikarten sorgfältig nach Themengebieten sortiert.

Eine fast manische Tendenz, sich die Welt fotografisch zu erschließen und zu ordnen spricht aus dieser Sammlung. Stankowski scheint dabei alles seinem gebrauchsgrafischen Blick zu unterwerfen. Kein Bild, das nicht der Diagonale, dem Kreis, dem Raster, der Linie oder anderen geometrischen Formen huldigt. In einer gelungenen Auswahl, Rahmung und Anordnung zeigt das Kunstmuseum Stuttgart ungefähr hundert dieser Fotografien, ergänzt um Karteikarten der Negativdatei, sowie einige gebrauchsgrafische Arbeiten.

Zu sehen sind Abzüge mit technischen, natürlichen, menschlichen, architektonischen und alltäglichen Motiven. Die bisher teils unveröffentlichten Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind sachlich und klar, manchmal sogar humorvoll. Sie zeichnen sich durch eine Präzision aus, die aus Stankowskis Anspruch hervorgeht, sie ohne nachträgliche Retusche für Plakate, Grafiken und Anzeigen verarbeiten zu können.

Dennoch ist seine Sammlung keine bloße Archivierung der Welt zu Werbezwecken. Zu sehr ist den Aufnahmen seine künstlerische Faszination an den Gegenständen und Konstellationen anzumerken. Die Fotografien sind ein anschaulicher Beweis dafür, dass die Trennung zwischen Kunst und Gebrauch bei ihm nicht existierte. Dies verdeutlicht die Stuttgarter Ausstellung nun eindrücklich, indem sie den inhärent ästhetischen Wert dieser Nützlichkeitssammlung voll zur Geltung bringt.

■  Bis 27. Oktober 2013, Kunstmuseum Stuttgart, Katalog 19,90 Euro