Die befremdliche Stimme

STRANGE Kühl und unnahbar gibt sich die deutschbritische Sängerin Anika, die nie Musikerin werden wollte – bis sie auf Geoff Barrow von Portishead traf. Heute verfremdet sie Bob-Dylan-Songs oder spielt verstörende DJ-Sets

Das bemerkenswerte Musikprogramms des diesjährigen Foreign-Affairs-Festivals ziert auch der Name von Anika. Offiziell sollte sich die Sängerin am Samstagabend die Bühne nur mit dem taiwanesisch-kanadischen Musiker Dirty Beaches teilen, der für seine de- und rekonstruktiven Klangcollagen gefeiert wird. Wie der taz jedoch bestätigt wurde, gesellt sich noch ein Überraschungsact zu Anika auf die Bühne: die Düsseldorfer Elektro-Avantgardeler von Kreidler.

■ Anika, Dirty Beaches, Kreidler: Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Samstag, 23 Uhr, 10 €

VON JENS UTHOFF

Sonderbar, unheimlich. Seltsam, fremd. Dies sind allesamt Übersetzungsvorschläge, die einem das Wörterbuch für strange anbietet. Kaum ein englisches Wort wäre besser geeignet, das musikalische Universum auf einen Nenner zu bringen, um das es im Folgenden gehen soll. Es ist die fremde Welt der Sängerin Anika.

Hinter Anika verbirgt sich eigentlich eine ganze Band. Nur singt eben die Deutschbritin Annika Henderson in dieser Gruppe, und da der Gesang einen nicht eben unbedeutenden Anteil am Sound hat, benannte man die ganze Band nach ihr. „Ich wollte das erst nicht. Als Kompromiss haben wir ein n rausgeschmissen“, sagt Henderson, „es war Geoffs Idee, sich nach mir zu benennen.“

Geoff, das ist Geoff Barrow, den man von Portishead kennt und der als Mitbegründer des TripHop gilt. Barrow und die mittlerweile um einen Konsonanten ärmere Anika sind die Protagonisten, daneben besteht die Band noch aus Billy Fuller und Matt Williams, mit denen Barrow auch bei Beak> kollaboriert. Ähnlich wie bei Beak> klingt der Sound von Anika sphärisch und geheimnisvoll, nur noch verschlossener.

Barrow und Anika liefen sich 2010 über den Weg. Barrow suchte damals eine weibliche Stimme für ein neues Projekt. „Es war Zufall“, sagt Anika, „ich wollte eigentlich nie Sängerin werden.“ Im gleichen Jahr erschien das selbst betitelte Debütalbum, auf dem sie etwa Songs von Yoko Ono und Bob Dylan entfremdeten. Erfolgreich waren sie damit weniger in den Heimatländern, dafür aber gaben sie in New York gefeierte Konzerte. Vor wenigen Wochen erschien eine Nachfolge-EP mit sechs neuen Tracks, ein weiteres Album soll folgen.

Lärmende Gitarren, Synthies und eine 60er-Orgel sorgen für atonale Klänge

Anika, die zwischen Berlin, Bristol und Südfrankreich pendelt, redet leise und mit Cockney-Einschlag, als wir uns in einem Kreuzberger Café treffen. Sie wirkt fast ein bisschen, wie ihre Musik klingt: unnahbar und kühl. Man nimmt es ihr ab, wenn sie sich unprätentiös gibt. „Es war für mich eine harte Entscheidung, den Journalismus vorerst aufzugeben“, sagt sie. Sie wirkt nicht sonderlich beeindruckt von dem Standing, das sie in der Musikerszene mittlerweile genießt: Zum Foreign-Affairs-Festival etwa reisen die Düsseldorfer Elektro-Avantgardeler von Kreidler an und spielen ein gemeinsames Set mit ihr.

Während die Musik Anikas verschiedene Spielarten des Postrock vereint, wird sie selbst aufgrund ihrer Stimmlage oft mit Nico verglichen. Die tiefe Altstimme Anikas ist ähnlich dominant, sie kokettiert damit, einen in den Abgrund ziehen zu wollen. „Ich kannte Velvet Underground und Nico zwar, aber ich habe sie gar nicht so viel gehört“, erklärt sie. Ein bewusster Einfluss sei es nicht gewesen.

Während die Stimme befremdlich bleibt, sind es die rhythmischen Bassläufe, die dem Hörer wieder Halt geben. Dennoch bleiben es komplizierte, sperrige Kompositionen, die Anikas Band dem Rezipienten zumutet. Lärmende Gitarren, Synthies und eine 60er-Orgel sorgen für oft atonale Klänge.

Die Sängerin erzählt, dass sie besonders die Jahre im walisischen Cardiff geprägt haben, wo sie Politik und Erziehungswissenschaften studierte. „Ich fühle schon sehr mit diesem Volk.“ Die eigentümliche walisische Sprache habe sie in jener Zeit genauso schätzen gelernt wie die Interessen jenes immer etwas marginalisierten Volks. Auch ihr Lieblingsdichter, Dylan Thomas, stammt aus Wales. Ein Hörspiel seines wichtigsten Werks, „Unter dem Milchwald“, habe sie stark inspiriert. „Ich glaube, dass meinem Gesang walisische Einflüsse anzuhören sind.“

Ähnlich wie Beak> klingt Anika sphärisch und geheimnisvoll, noch verschlossener

Ihre musikalische Sozialisation erlebte die heute 26-Jährige, deren Vater Engländer und deren Mutter Deutsche ist, im englischen Bristol, wo sie aufwuchs. Zu Jugendzeiten lernte sie Klavier und Gitarre, während sie gleichzeitig die elektronische Musik entdeckte.

„Ich bin ein Kind der 90er“, sagt sie. Sie sei mit House, TripHop, Elektropop und Drum ’n’ Bass groß geworden. Bei den DJ-Sets, die sie heute noch spielt, lege sie aber Songs aus der gesamten Musikgeschichte auf: „Da passt oft nichts zusammen“, sagt sie, „das verstört die Leute immer ein wenig.“

Verstörende Klänge überraschen einen allerdings nicht mehr wirklich, wenn man sich ein wenig mit Anika beschäftigt hat. Denn mit ihrer Musik geht es einem manchmal wie mit den Filmen David Lynchs oder den Bildern des Fotokünstlers Gregory Crewdson: Begreifen kann man sie vielleicht, verstehen eher nicht.