Der Gestank des Geldes

Der Mammon regiert uns unmenschlich: Mülheims Intendant Roberto Ciulli inszeniert Artur Millers „Die Stunde Amerikas“ mit kräftigen Parallelen zur heutigen Gesellschaft. Eine Zustandsbeschreibung

AUS MÜLHEIMPETER ORTMANN

Wacht auf! Verdammte dieser Erde. Die letzten Stunden haben wieder begonnen. Die letzten Stunden vor der großen Repression. Oder hat sie schon längst angefangen? Also rein ins Affenkostüm und raus in die wahre Anarchie: Ab in die Banken und raus mit dem überflüssigen Geld. Roberto Ciulli inszeniert in seinem Theater an der Ruhr Artur Millers „Die Stunde Amerikas“. Ein Theatersaal als Geschichtswerkstatt. Dreieinhalb Stunden dauert die Melange aus Skurrilität und Börsen-Crash, aus demütigender Arbeitslosigkeit und dem lustigen Verlust von Megalopolis-Luxus. Supergirl und Verschwendung von Jugend inclusive. Man tappst aus dem dunklen Raum, zitiert im Geiste Nestroys „Häuptling Abendwind“, hofft, dass statt des Eisbären die Kapitalisten gefressen würden und hat doch das irgendwie das Gefühl, alles schon vorher gewusst zu haben.

Arthur Miller thematisierte 1980 die große Depression in Amerika. Als die aufgeblasene Börse am schwarzen Donnerstag crashte, als Millionäre zu Bettlern wurden und ruinierte, kleine Bürger erst wieder Luft bekamen, als sie endlich Soldaten werden durften. 50 Milliarden Dollar sollen damals durch den Schornstein geraucht sein – wenn das eine Nation nicht in Panik versetzt, was sonst. Ciulli inszeniert auf hohem Niveau, versucht verzweifelt die unübersehbaren Schwächen des schwachen Textes zu überspielen. Ein ganzes Heer an Schauspielern geistert dafür über die Bühne, spielt sich die verwundete Seele aus dem Hals und dennoch – niemand wird nach dem Abend in die Partei eintreten und frische Solidarität üben. Die Parallelen zur Jetztzeit sind unübersehbar, die Armenküchen bereits geliefert und dennoch, auch das Mülheimer Theater bleibt hinter seiner intellektuellen Mauer.

Die Welt um uns herum wird nicht wie Zunder zerfallen. Denn die Herrschenden sind im Besitz von Massenvernichtungsmittel fürs Hirn. Jeden Tag flimmern sie in den Wohnzimmern dieser Republik, dessen Arbeitslosenzahlen die der großen Repression in Amerika längst überflügelt haben. Der Staat erdrückt, Gesetz ist Schwindel! Die Parameter sind bekannt. Wo bleibt die Radikalisierung der Verlierer?

Kein Klischee bleibt Ciulli seinen Schülern schuldig. Uncle Sam selbst warnte seine Landsleute und blieb als einziger ungeschoren. Dass er dafür auf die Freudsche Couch musste, kann man jeden Tag in den Nachrichten überprüfen. Auch Superman konnte damals nicht helfen. Und dass ausgerechnet die ehemalige Millionärsfamilie Baum im Mittelpunkt von Millers Durchschnittsware steht, lässt die Betroffenheit auch nicht gerade in die Unendlichkeit wachsen. Denn im Grunde genommen blieb diese Gruppe Verlierer uneinsichtig, glaubte immer noch an das System. „Das wird schon wieder“, stereotyped Vater Moe Baum, das könne doch nicht ewig so weiter gehen.

Ging es ja auch nicht. Der zweite Weltkrieg rettete die Wirtschaft, schaffte neue Arbeitsplätze, heilte die Nation und ihren Glauben an die Unverwundbarkeit – bis zum 11. September 2001 zumindest. Mit seiner schönen Inszenierung manifestiert Roberto Ciulli und das Theater an der Ruhr einen Tatbestand, zeigt, etwas lang, unübersehbare Parallelen zum Heute auf, doch es vermeidet die unausweichliche Schlussfolgerung: Uns aus dem Elend zu erlösen, Können wir nur selber tun!

Sa, 25. Februar, 19:30 Uhr, Theater an der Ruhr, MülheimInfos: 0208-599010