Bremer Karneval: Power und Poesie

Wie Bremen seinen Karneval feiert, ist wirklich bemerkenswert. Eine Woche, bevor sich der Rest der Republik in Büttenreden ergeht, steigt hier zwischen den Polen „Freinacht“ und Samba ein Volksfest im besten Sinn – mit einer klug angelegten Dramaturgie. Denn während man sich tagsüber im Rhythmus der 1.500 angereisten Sambistas, die Bremen seit Jahren zur europäischen Sambakarneval-Hochburg Nummer Eins machen, austoben kann oder zumindest – bei etwas ausgeprägterem Bewegungswillen in der Bevölkerung – gekonnt hätte, folgt abends der poetische Kontrapunkt zur Trommelpower. Auch dieses Jahr war die vom Blaumeier-Atelier inszenierte „Freinacht“ in den Wall-Anlagen von einer imaginativen Intensität, die das Zeug zur Verzauberung hat. Und die sah so aus: Eine riesenhaft auf die Rückseite der Kunsthalle projizierte Camille blickte in ihrem charakteristischen Schrägrückwärts-Blick auf eine kaum wieder zu erkennende Altmann-Höhe. Auf den Hängen und Wiesen breiteten sich theatral aufgeladene Szenarien aus, bespielt von fast 250 Maskenfiguren. Wer über die Wege wandelte erlebte überraschend weitläufige Stimmungswelten, die sich alle mit den Emanationen des Weiblichen beschäftigten, vom Waschweib bis zur vaginal gestalteten Gottheit. Dann ein Gräberfeld mit Klageweibern, gegenüber die großen Gelegen zu bebrütender Eier. Schlichtweg fantastisch ist, wie sich das sinistre Rund des Gefallenendenkmals in einen Kirmesplatz verwandeln kann. Kommenden Karneval ist der Samba leider allein, da die „Freinacht“ nur alle zwei Jahre finanziert wird.

Henning Bleyl/F.: H. v. d. Fecht