Milliarden von Postsendungen kontrolliert

NORDAMERIKA Der gesamte Postverkehr in den USA wird seit Jahren überwacht, fotografiert und dann gespeichert. Auf diese Weise lassen sich mögliche Netze an Wegen und Beziehungsgeflechten erstellen

■ Der bolivianische Präsident Evo Morales ist nach einer ungewöhnlichen Blockade seines Flugzeugs in Europa wieder in Bolivien eingetroffen. Bei der Ankunft wetterte er vor rund hundert Anhängern gegen die USA, die er für seinen 14-stündigen Stopp auf dem Wiener Flughafen verantwortlich machte. „Es ist eine offene Provokation des gesamten Kontinents, nicht nur des Präsidenten“, sagte Morales. Zuvor hatte Frankreich die Probleme bei den Überflugrechten für das Flugzeug von Boliviens Präsident Evo Morales bedauert. Der französische Außenminister Laurent Fabius habe sich bei seinem bolivianischen Kollegen David Choquehuanca telefonisch entschuldigt, teilte die Regierung in Paris mit. Morales musste auf seinem Heimflug aus Moskau in Wien zwischenlanden. (ap/afp)

VON RIEKE HAVERTZ

BERLIN taz | Den Vertrag mit dem Telefonanbieter kündigen, einen Brief an die Großmutter schreiben, ein Paket ins Ausland schicken. Es gibt immer noch viele Gründe, zur Post zu gehen. Mit dem Smartphone mag man im Café digital seinen Kaffee bezahlen können und eine digitale Unterschrift ist kein Problem mehr, doch die weiß-blauen Wagen des „United States Postal Service“ gehören zum Alltagsbild auf amerikanischen Straßen. Fast 160 Milliarden Postsendungen bearbeitete die US-Behörde im Jahr 2012 – und jede davon wurde abfotografiert.

Wie die New York Times berichtet, lassen die USA den gesamten Briefverkehr des Landes über das Programm „Mail Isolation Control and Tracking“ registrieren. Absender und Empfänger werden so festgehalten und auf Anfrage an Strafverfolgungsbehörden weitergeben – ohne vorher eine richterliche Genehmigung einholen zu müssen. Die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Abhörmethoden von Telefonverbindungen und Internetdaten durch den US-Geheimdienst NSA mögen technisch anspruchsvoller sein, doch die Daten auf Briefen und Paketen sind nicht weniger wertvoll. Wie die Zeitung schreibt, reicht für den Zugang zu diesen Informationen ein schriftlicher Antrag, den die Post im Normalfall nicht ablehnen würde. Netze an Wegen und Beziehungsgeflechten können so erstellt werden.

Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hat der republikanische Präsident George W. Bush unter dem „USA Patriot Act“ eine Reihe von Maßnahmen durchgesetzt, um Behörden wie FBI, CIA und NSA leichteren Zugang zu Informationen zu gewähren und etwa Abhörmaßnahmen zu starten.

Die Registrierung des Briefverkehrs, so schreibt die New York Times, soll ebenfalls auf das Jahr 2001 zurückgehen. Es waren Briefe mit dem Milzbranderreger Anthrax, die an Regierungsstellen und Politiker verschickt wurden. Fünf Menschen starben durch die Briefe. Danach soll das „Mail Isolation Control an Tracking“-Programm installiert worden sein. Wie lange die Daten gespeichert werden, ist unklar, das Ausmaß der Überwachung aber gigantisch.

Ein Briefträger, der ab und an einen flüchtigen Blick auf einen Brief werfen mag, ist das eine, eine systematische Sammlung aller verschickten und verschifften Postsendungen etwas völlig anderes. Kundenströme von Geschäftsleuten, Bankdaten, Kreditkartenunternehmen – nichts bleibt verborgen. Das Öffnen von Briefen ist so fast sekundär – und dafür braucht es nach wie vor eine richterliche Anordnung. Die oft als veraltet und konservativ unterschätze Post wird so zu einer weiteren wertvollen Datenquelle für die Behörden.

Viele Amerikaner nehmen die Einschränkung von Bürgerrechten und Privatsphäre für ein Gefühl erhöhter Sicherheit seit Jahren in Kauf. Doch es gibt auch erste kritische Stimmen. Mark Udall, Senator im US-Bundesstaat Colorado und Mitglied des Geheimdienstausschusses, sagte nach Bekanntwerden des Prism-Skandals: „Ich denke, wir sollten den Patriot Act erneuern und die Masse an Daten begrenzen, die die NSA sammelt.“ Der neue Skandal um die Postsendungen verleiht seiner Forderung größeres Gewicht. Doch noch ist er eine Einzelstimme im Kanon der Politiker, die die Maßnahmen ihrer Regierung rechtfertigen.