Die Empathie kommt von allein

POLITISCHE BILDUNG Die ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen und Neuengamme sind nicht nur Gedenkstätten, sondern auch außerschulische Lernorte

„Die Aktivierung ist der Schlüssel zur Erinnerung. Nur so kann man mögliche Anti-Haltungen und Furcht überwinden“

Iris Groschek, Pädagogin, Gedenkstätte Neuengamme

VON BIRK GRÜLING

Zwischen einem Nato-Truppenübungsplatz und der kaum 12.000 Einwohner zählenden Provinzstadt Bergen liegt die Gedenkstätte Bergen-Belsen. Im Nationalsozialismus befand sich auf dem weitläufigen Gelände mit den großen Grünflächen ein Konzentrationslager für Juden, Kommunisten, Kriegsgefangene und andere Regime-Gegner. Zwischen 1940 und 1945 starben hier mehr als 70.000 Menschen, unter ihnen auch Anne Frank und ihre Schwester Margot. Heute kommen pro Jahr mehr als 300.000 Besucher in die Gedenkstätte, ein Großteil von ihnen sind Schulklassen.

Über einen weißen Betonweg folgen sie ihren LehrerInnen und den Guides hinaus auf das Außengelände des ehemaligen Lagers. Bei der Planung des Gedenkortes wurden fast alle Überreste des Lagers beseitigt, auch auf Wunsch der Überlebenden. Statt Baracken und Zäunen stehen hier Bäume und Heidekräuter. „Wir sind ein außerschulischer Lernort mit anderen Ansätzen als der klassische Geschichtsunterricht“, erklärt Katrin Unger, Gedenkstättenpädagogin in Bergen-Belsen. Man wolle neben einer Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen vor allem an die Lebenswelt der Schüler anknüpfen und neue Fragen erarbeiten.

Gerade Themen wie Rassismus und Antisemitismus hätten heute noch große Relevanz und stießen bei Schülergruppen auf reges Interesse. Bei der Annäherung an das Thema „Konzentrationslager“ setze die Gedenkstättenpädagogik auf neue und vielfältige Ansätze. „Die Schuldpädagogik ist seit vielen Jahren verschwunden. Empathie und Betroffenheit stellt sich bei den Jugendlichen schließlich von alleine ein. Deshalb braucht man zum Lernen keinen erhobenen Zeigefinger“, so Unger.

Eine Feststellung, die man auch in der Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg bestätigt. „Wie wollt ihr euch erinnern? ist bei uns eine zentrale Frage“, erklärt Gedenkstättenpädagogin Iris Groschek. Ein sehr moderner Ansatz ist dabei eine App, mit der sich Besucher auf eine eigene Spurensuche begeben können. An 113 Stationen erhalten sie zusätzliche Informationen in Form von historischen Fotos, Zitaten von Häftlingen und persönlichen Geschichten. Schon länger gibt es sogenannte Guides, die Schulklassen und Jugendgruppen über das Gelände führen. Anhand historischer Bilder betätigen sie sich gemeinsam mit den Jugendlichen als Spurensucher oder widmen sich in der Hauptausstellung bestimmten Aspekten.

„Die meisten Guides sind noch im Studium und haben so einen ganz anderen Zugang zu dem Thema und den Jugendlichen“, sagt sie. In Seminaren werden sie auf ihre Arbeit vorbereitet. „Die Aktivierung ist der Schlüssel zur Erinnerung. Nur so kann man mögliche Anti-Haltungen und Furcht gleichermaßen überwinden“, erklärt Groschek. Besonders intensiv in der Aktivierung sind dabei Veranstaltungen außerhalb der „normalen“ Führungen und Vorträge. Gerade mehrtägige Seminare schaffen den Raum für eine andere Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus.

Ein gutes Beispiel dafür sind Projektwochen mit Jugendlichen aus ganz Europa, die in vielen deutschen KZ-Gedenkstätten regelmäßig stattfinden. Das internationale Sommerseminar ist eine solche Veranstaltung und findet in Bergen-Belsen vom 15. bis 25. Juli statt. Organisiert wird sie vom Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) Niedersachsen und trägt den Titel „Wege des Gedenkens – Schritte der Verantwortung“. Jugendliche aus Weißrussland, den Niederlanden und Deutschland kommen hier zusammen, um sich zehn Tage lang mit der Geschichte des Ortes Bergen-Belsen und mit seiner Bedeutung für die Gegenwart zu beschäftigen.

„Wir wollen gemeinsam herausfinden, was wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen können“, erklärt Organisatorin Gesa Lonnemann. Dazu gehört neben Gesprächen mit Überlebenden und Zeitzeugen die Produktion einer Camp-Zeitung mit Interviews und Bildstrecken aus der Gedenkstätte. „Wir stellen dabei immer wieder fest, dass die Geschichte zwar für viele Jugendliche weit weg ist, es aber viele aktuelle Ansätze für Debatten geben kann“, sagt sie.

Das Sommerseminar „Wege des Gedenkens – Schritte der Verantwortung“ findet vom 15. bis 25. Juli im Anne-Frank-Haus in Oldau und auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen statt. Die Teilnahmegebühr beträgt 160 Euro. Weitere Informationen unter www.jugendarbeit-in-bergen-belsen.de