Auf der Suche nach Luft und Licht

WOHNEN Die liebste Behausung vieler Städter ist der Altbau mit Stuck und Dielen. Der Architekt Cornelius Mangold hat mit seiner Familie jedoch eine Wohnung im Hansaviertel gekauft. Die Geschichte von einem, der auszog, anders zu wohnen

Den Kiez mit Cafés und Bioläden in Prenzlauer Berg vermisst Cornelius Mangold nicht – und ebenso wenig vermisst er das großbürgerliche Gefühl, auf das manche Altbaubewohner nicht verzichten mögen

VON SUSANNE MESSMER

Vielleicht fing es damit an, dass Cornelius Mangold als Kind alle zwei Jahre umgezogen ist. So lernte er vom Mehrfamilienhaus bis zur Neubauwohnung verschiedene Wohnformen kennen; sein Vorstellungsvermögen wurde womöglich größer als das anderer. Vielleicht lag es aber auch einfach daran, dass ihn der Prenzlauer Berg zunehmend langweilte.

Die Mieten steigen

Wie viele seiner Generation war Mangold zunächst in den Neunzigern in diesen Stadtteil gezogen. Doch als die günstigen Mieten allmählich stiegen und Mangold und seine Frau das erste Kind bekamen, wagten die beiden ein Experiment, wie es die meisten in seinem Umfeld nicht gewagt hätten.

Auch zehn Jahre nach seinem Umzug ins Hansaviertel hat Cornelius Mangold heute keine Sehnsucht, zurück zu ziehen in den Altbau, zu den Dielen und dem Stuck und den zierlichen Balkonen, die fast alle im Umfeld des gelernten Architekten bis heute wollen. Da ist zum einen der Altbau selbst mit seinen tiefen, oft dunklen Zimmern – da ist aber auch die Konformität dieser Wohnform. Die Mangolds machten es anders. Und das, als noch die Wenigsten auf diese Idee gekommen wären.

Wer Mangold einmal am Küchentisch sitzen sieht, versteht sofort, warum der Mann mit dem schicken Hemd und dem Lächeln in den Mundwinkeln auch in Bezug auf seine Wohnsituation so aufgeräumt wirkt. Seine Wohnung passt zu ihm: Sie ist licht, luftig und reduziert, verfügt über verputze Wände und Holzparkett. Der Flur, klein und funktional, geht über in einen weiten Raum mit Küche auf der einen und Wohnzimmer auf der anderen Fensterseite. Außerdem gibt es drei fast quadratische Zimmer, sparsam möbliert. Und der Balkon, so breit wie die Wohnung, ist Teil einer Galerie, die sich quer über die ganze Hausfassade erstreckt.

Auf den ersten Blick wirkt das achtgeschossige Zeilenhochhaus nicht so aufregend wie andere im Hansaviertel. Das „Schwedenhaus“ der Architekten Fritz Jaenecke und Sten Samuelson, in dem Mangold lebt, ist nicht so kühn wie das berühmte Haus auf Stelzen von Oscar Niemeyer auf der anderen Straßenseite.

Und doch ist es eines jener modernen Wohnhäuser, die den Bedürfnissen des modernen Lebens besser angepasst sind als jedes Haus der Gründerzeit. Hier ist es möglich, dem Altbau auf stilvolle Weise langfristig zu entkommen.

Cornelius Mangold weiß, was er da umreißt, denn auf seiner Flucht vor dem Prenzlauer Berg hat er auch schon anderes probiert. Ende der Neunziger beschloss der damalige Architekturstudent, die Häuser, die er täglich auf dem Weg zu Arbeit und Uni sah – die Berliner Plattenbauten – zum Gegenstand seiner Diplomarbeit zu machen. Damals entwarf und verlegte er gemeinsam mit anderen das Quartett „Plattenbauten“ – ein Kartenspiel, das jeder zweite irgendwann einmal verschenkt hat.

Die Folge seiner Liebe zur Platte war es, dass Mangold vier Jahre lang ins Plattenbaugebiet an der Otto-Braun-Straße im südlichsten Zipfel von Prenzlauer Berg zog. Er teilte sich mit seiner Frau eine schöne Zweizimmerwohnung, wie er sagt.

Doch am Ende dieser Zeit, sagt er, da konnte er verstehen, warum viele, die in der DDR groß geworden sind und die Altbaugebiete in Prenzlauer Berg bevorzugten, solche Aversionen hatten gegen die Platte. „Für diese Leute waren die Plattenbewohner Stellvertreter des Staats“, sagt er. Und auch seine Erfahrung sei gewesen: Mit den damaligen Nachbarn gab es viel Streit.

Als sich schließlich das zweites Kind ankündigte, beschlossen Mangold und seine Frau, weiter zu ziehen. Bald fanden sie die Eigentumswohnung im Hansaviertel, in der sie auch heute noch mit den beiden Töchtern leben. Es war eine von vier leerstehenden im selben Haus, „total runter“, wie er sagt, und deshalb „zu einem Spottpreis“ zu haben– so günstig, dass er nichts Genaueres verraten mag.

Inzwischen findet man im Hansaviertel keine Wohnungen zu Spottpreisen mehr, im Internet gibt es kein Angebot unter 3.000 Euro pro Quadratmeter. Das Viertel gilt nicht mehr als Geheimtipp für Kenner, sondern als eine der wenigen lebbaren Alternativen zum Gründerzeitbau. Das Publikum hat sich geändert, sagt der gelernte Architekt, der heute Mitbetreiber einer Werbeagentur ist.

Die Leute, die in den späten Fünfzigern das neue Hansaviertel bezogen, waren damals oft in den Dreißigern und hatten kleine Kinder. Heute sind sie alt geworden. Vor zehn Jahren begannen neue junge Familien nachzurücken, die meisten ebenfalls in den Dreißigern und mit kleinen Kindern. „Die Geschichte wiederholt sich hier“, sagt Cornelius Mangold – eine Flucht vor der eigenen Klientel war der Umzug insofern kaum.

Haben sie sich erfüllt, Mangolds Vorstellungen, die sich am Anfang mit dem Hansaviertel verbanden? „Man hockt sich schon ein wenig auf der Pelle, auf hundert Quadratmetern zu viert“, denkt Cornelius Mangold breit grinsend nach. Die überflüssigen Quadratmeter, die man im Altbau oft verfluchte: Sie entzerren, gibt er zu.

Aber abgesehen davon? Mangold zuckt mit den Schultern. Den Kiez mit seinen Cafés, Buch- und Bioläden, den er in Prenzlauer Berg direkt vor der Haustür hatte und den es in diesem suburban funktionierenden Wohnviertel mit wenig Gewerbe kaum gibt: Den hat er nie groß vermisst.

Gäste an der langen Tafel

Ebenso wenig vermisst er das großbürgerliche Gefühl, auf das manche Altbaubewohner offenbar nicht verzichten können – die Illusion, auch mal zehn Gäste an der langen Tafel zu bewirten: Dafür fehle Menschen wie ihm, die arbeiten und Kinder haben, ohnehin meist die Energie, meint er.

Cornelius Mangold schaut aufs andere Ende seines großzügigen Wohnzimmers. „Man kann von hier aus den Lauf der Sonne verfolgen“, sagt er, als er auf den Balkon mit Blick auf Baumkronen tritt. „Und den der Jahreszeiten“, fügt er verträumt an.

Seine Wohnung ist barrierefrei, „der Aufzug wäre groß genug für meinen Sarg“, sagt er lachend. Kann durchaus sein, dass er in dieser Bleibe alt werden wird.