Jetzt wird gekeult

VON HANNES KOCH

Um die Ausbreitung der Vogelgrippe zu verhindern, sollten gestern Nachmittag auf der Insel Rügen tausende Hühner und Enten getötet werden. Im Mittelpunkt stand der Bauernhof Kliewe im Dorf Mursewiek (siehe taz vom 18. 2.). „Es wird darüber nachgedacht, den Bestand zu keulen“, sagte Holger Kliewe der taz. Der Betrieb hält zurzeit 2.000 Nutztiere, die in der Regel im Freien leben. Auch bei einer Anzahl weiterer Höfe wurde die Notschlachtung erwogen.

Auf Rügen sind bei etwa 800 Eigentümern mehr als 400.000 Stück Geflügel registriert. Kliewes Firma liegt 14 Kilometer von der Wittower Fähre entfernt, an der seit dem 8. Februar viele tote, mit dem Vogelgrippevirus infizierte Seevögel gefunden wurden. Sowohl der Bauer als auch das Lagezentrum der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern betonten, dass die Tötung eine Vorsorgemaßnahme sei. Das gefährliche H5N1-Virus habe man bislang bei keinem Nutztier in der Landwirtschaft festgestellt.

Im vergangenen Oktober freilich hatten Virologen bei Bauer Kliewes Federvieh bereits Antikörper gefunden, die möglicherweise auf das Vogelgrippevirus hindeuteten. Einen Zusammenhang mit der „hochpathogenen“ Variante von H5N1 habe man damals aber ausgeschlossen, sagte gestern Elke Reinking vom Friedrich-Loeffler-Institut. Deshalb seien die damalige Beobachtung und Kontrolle des Hofes ausreichend gewesen.

Währenddessen ist die Debatte um den Einsatz der Bundeswehr gegen die Vogelgrippe offenbar entschieden. Iris Uellendahl, die Sprecherin im Lagezentrum, erklärte, 42 Bundeswehrsoldaten seien auf Rügen mit der Desinfektion beschäftigt. Kein Fahrzeug könne von der Insel auf das Festland fahren, ohne durch eine Wanne mit Reinigungsmittel zu rollen. Auch am Fährhafen in Sassnitz sollte die Armee am Sonntagabend ihre Wannen aufstellen, damit das Virus nicht per Autoreifen und Schiff nach Schweden gelangt.

Den Katastrophenalarm, der eigentlich eine Voraussetzung für den Bundeswehreinsatz innerhalb Deutschlands darstellt, hatte der zuständige Landkreis Rügen gestern noch nicht gegeben. Diese Maßnahme hält Landrätin Kerstin Kassner (Linkspartei/PDS) für überflüssig, solange das Virus nur bei Wildtieren nachweisbar sei und nicht auf die Landwirtschaft übergegriffen habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich gestern auf Rügen über die Gegenmaßnahmen informierte, unterstützte die Aktivitäten der Bundeswehr. Der unkonventionelle Einsatz der Truppe fällt in eine Zeit, da Politik und Öffentlichkeit über die Rolle der Bundeswehr bei der Fußballweltmeisterschaft im Juni und Juli diskutieren. Besonders die Union will die Armee zur Unterstützung der Polizei einsetzen.

Im Hinblick auf die bevorstehende Debatte über die Föderalismusreform im Bundestag forderte die grüne Politikerin Bärbel Höhn gestern, dem Bund mehr Kompetenzen in Fällen wie der Vogelgrippe zu übergeben. Es sei falsch, dass ein Landkreis allein darüber entscheiden könne, ob er den Katastrophenfall ausrufe oder Hilfe von außen hole. „Über so etwas muss man nicht drei Tage diskutieren“, sagte Höhn, „wir brauchen eine gemeinsame Krisenstrategie.“ Die zwischen Union und SPD ausgehandelte Reform der Beziehungen zwischen Bund und Ländern überlässt Letzteren viele Kompetenzen im Umweltrecht. Das haben unter anderem Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Agrarminister Horst Seehofer (CSU) kritisiert.

Die Zahl der toten Wildvögel, bei denen das Vogelgrippevirus identifiziert wurde, ist inzwischen auf 59 gestiegen. Dabei handelt es sich vor allem um Schwäne, aber auch um Kormorane, Gänse und einen Bussard. Die gesamte Insel Rügen ist mittlerweile zur Schutz- und Beobachtungszone erklärt worden.