Adorno gesucht – Precht gefunden

Früher hatten Denker und Dichter große Namen. Heute sollen sie „fernsehbügeltauglich“ sein. Peter Unfried besuchte Richard David Precht, den „Lifestyle-Philosophen“, und wurde von Juliane Rebentisch gefragt, ob Adorno zu Jauch und Illner gegangen wäre

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Ich hatte große Angst, dass Richard David Precht verrissen werden würde. Weil die Konkurrenz zu Adorno mir gleich aussichtslos schien. Aber heraus kam ein wunderbar sorgfältig überlegter Artikel über die Art der Arbeit Prechts, seine hilfreiche Rolle in unserer modernen Medienwelt, seine ernsthaften Bemühungen, aufklärerisch und erklärend über Philosophie und aktuell über unser Bildungssystem zu schreiben. Aber auch über seine eigenen Zweifel und Ängste, in diesem Mediensystem aufgefressen zu werden.

Ich bin in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung tätig und habe keine akademische Ausbildung. Ich habe meine Aufgabe sehr früh als die eines Dolmetschers verstanden. So erlebe ich Precht, und so beschreibt Peter Unfried ihn auch, als Übersetzer. Jede Berufsgruppe hat eine Fachsprache, die andere zwangsläufig ein Stück ausschließt, weil sie nicht verstanden wird, wenn man den Beruf nicht erlernt hat. Das ist solange okay, wie Sprache nicht dazu benutzt wird, andere Menschen auszuschließen oder sich als Gruppe elitär über andere zu erheben. Aber alle diese gegenläufigen Gedanken wurden im Artikel berücksichtigt und ausgewogen dargestellt. K.-P. VOLKMANN, Sprockhövel

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Peter Unfried durfte also dabei sein, als Prof. Precht einmal seinen Adorno nicht fand. Warum er dann später schreibt: „Massenkultur ist demnach etwas Sinnfreies, das man Leuten untergejubelt hat, damit sie konsumieren oder blöd bleiben“, bleibt unklar, denn weder der Gedanke noch die Formulierung haben irgendetwas mit der tatsächlich von Adorno und Horkheimer verfassten „Dialektik der Aufklärung“ zu tun. Den Satz dann auch noch mit Hinweisen auf das deutsche Großbürgertum oder die Juden, die „vor den Nazi-Deutschen fliehen“ mussten, unterlegen zu wollen, ist zumindest erstaunlich, vielleicht aber auch ein eigenes Beispiel für „Sinnfreiheit“. Entweder ist es so, dass der Kontakt mit Richard David Precht wirklich schadet, oder Herr Unfried war schon vorher in dieser Verfassung, was bedeuten könnte, dass Precht nicht mehr Schaden anrichtet als schon da ist. WERNER NELL, Selzen

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, „Linientreu heißt links“, taz 29. 6. 13

Im taz-Feuilleton macht man sich auf die Suche nach dem Stellenwert heutiger Philosophie, vernachlässigt Bloch, Jaspers, Ahrendt usw., kommt nur auf Adorno. Unvergesslich seine Gespräche mit Ernst Bloch über den Geist der Utopie, auch heute noch frisch, als wären sie für das Morgen gesprochen. Und endet ohne Umweg bei Precht.

Behauptet wird, er werde zum Agenten neoliberaler Tendenz, wenn er Geisteswissenschaften am falschen Maßstab unmittelbarer Wirksamkeit messe. So meint er, als Konzept einer besseren Schule, dem Ziel der kritischen Intervention mit alternativen Vorschlägen beikommen zu müssen. Andererseits stellt Christian Schneider die politische Genese der Nachkriegszeit so dar, als hätte eine große Mehrheit die Dogmen der SED-Sozialisten übernommen. Während Intellektuelle in Frankreich sich kritisch vom „russischen Bolschewismus“ gelöst haben sollen, sei man in Deutschland linientreu geblieben. Bei der Vielfalt der damaligen, heftigen Auseinandersetzungen gegen den Ostblocksozialismus oder die paar roten Socken in den alten Bundesländern fragt man sich: Wie alt war Christian Schneider damals, hat man ihm nur die UZ oder DKP-Flugblätter zu lesen gegeben? Wer hat ihm verheimlicht, dass große Teile der westdeutschen Linksliberalen und Sozialdemokraten von Karl-Hermann Flach über Egon Bahr, Ernst Bloch bis Walter Jens weder anti- noch prokommunistisch waren, sondern getreu der Antitotalitarismustheorie von Hannah Ahrendt gegen alle Formen der Diktatur oder des Fundamentalismus. Da wurden Ulbricht und Honecker, Breschnew schaudernd belächelt und abgelehnt, auch wenn Willy Brandt den Diktator freundschaftlich umarmte. So etwas wurde damals richtig verstanden, es gab keinen Shitstorm gegen falsche Bruderküsse. Sie sind im Nachhinein mit der Entspannungspolitik sanktioniert. Linientreu waren nur die geblendeten Salonkommunisten, die in der damaligen BRD nur eine kleine, unbedeutende Minderheit darstellten.

Wenn ich an einem Tisch mit Vertretern aus Afrika und Südamerika zusammensitze, träumen wir von einer Welt, in der alle Kontinente gleichberechtigt, wirtschaftlich gleich stark und autark sind; dann werden die Projekte von morgen klar.

HASSO ROSENTHAL, Weener

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Danke für den sehr anregend geschriebenen und differenzierenden Artikel. Statt Standesgegeifer, wie es in vielen Medien über Precht zu lesen ist, zeigen Sie durchaus humorvoll Denkwege und sprechen mir in vielem aus der Seele, die sich über viele der Wandlungen so ganz auch nicht im Klaren ist. Nur dies: Die intellektuell-pessimistische Dekonstruktion, die abstrakt und handlungslahm bleibt, wenn es um Lösungen geht, ist mir genauso suspekt wie die brutal-dumpfe Statuswahrung, die aus dem the winner gets it all-Geist fließt. Es passt mir gut, dass Herr Precht sich als Ingenieur des Denkens auffasst, der die Haltbarkeit begrifflicher Brücken prüft. Genau das fehlt in dem babylonischen Geschnatter dieser Tage.

KAI HANSEN, Nürtingen

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Precht hat recht. Wir brauchen eine Revolution im Schulsystem angesichts unseres momentanen totalen Schuldesasters, welches sich nahtlos in den Unis fortsetzt. Und das Gymnasium könnte dabei hintenüber fallen. Precht deswegen als Gymnasiumstürmer zu titulieren ist ziemlich unernst und reißerisch. Oder kann sich ernsthaft jemand vorstellen, man würde das Gymnasium in vorstellbarer Zukunft abschaffen? Precht ist doch nicht Luther! Wenn er aber ein Vorkämpfer für ein modernes, menschliches Schulsystem sein will, so wie Adorno ein Bekämpfer des Faschismus sein wollte, dann los, Herr Precht! Dass bedarf aber wohl eines dicken Fells, stahlharter Nerven und eines wieselflinken Umgangs mit unseren Politikern und Medienschaffenden. An Fleiß, Intellekt und Integrität mangelt es ihm offensichtlich nicht, auch wenn Peter Unfried ihm das so gar nicht zugestehen möchte. Und: Wenigsten die ernste Bitte, nicht „bierernst“ zu zitieren, hätten Sie ihm erfüllen können. Und: Ja klar wäre Adorno zu Jauch und Illner gegangen. Und vielleicht wäre er von den Medien niedergemacht worden. Weiß man’s? ELKE PARNISKE, Rheine

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Ich weiß nicht, mit welchen Akademikern Sie sprechen. Ich bin auch eine, und ich finde Slotderdijk (mein Jahrgang) brillant, amüsant, sympathisch, aber ehrlich gesagt nicht besonders schön. Precht finde ich, wie Frau Heidenreich: „klug, schön, sympathisch“. Und seine Bücher sehr wichtig, für die Volksbildung. Eine Beleidigung finde ich, dass Sie Precht zusammen mit dem Blödmann Til Schweiger in einem Atemzug nennen. Ich sagte Blödmann, weil er sich neben anderen Blödigkeiten, die ich von ihm schon hören/lesen musste, erdreistet zu wissen, wem man die Menschenrechte aberkennen kann. „Kinderschändern“. Zweimal hat er das in Talkshows geäußert. Leute wie er und seine Anhänger brauchen die Bücher und Fernsehauftritte von Precht ganz dringend. – Ich habe mich mit 16 durch Adornos relativ unlesbare Text gequält, so lange bis ich verstand, dass man das, was er schrieb, auch einfacher ausdrücken kann. Klar, für die meisten akademischen Philosophen, die sich ständig bemühen, ihre akademische Qualifikation durch größtmögliche Unverständlichkeit zu beweisen, muss Precht schon wegen seiner Millionenauflagen ein Hassobjekt sein. Beim Philosophenkongress 2011 in München habe ich mich ganz oft über diese unsouveränen Typen geärgert, die nicht einmal in der Lage waren, ihre Vorträge nicht wörtlich abzulesen, obwohl sie nur über Themen gesprochen haben, die sie im Schlaf runterbeten können. Precht ist gut und wichtig, und ich freu mich, ab und zu einen gut aussehenden Mann im TV zu sehen, der nicht blöd und nicht angestrengt ist. DAGMAR SCHÖN, München

■ betr.: „Auf der Suche nach Adorno“, taz vom 29. 6. 13

Precht hat Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte studiert, schreiben auch Sie, und dann in Germanistik über Robert Musil promoviert – das dürfte kein philosophisches Thema sein. Und danach hat er auch kein philosophisches Werk vorgelegt. Ist er deshalb anzugreifen? Nein, wieso? Natürlich ist es auch ein Talent, komplizierte Sachverhalte leicht verständlich zu beschreiben, und selbstverständlich hat er hier seinen Platz. Wenn er allerdings von den Medien überall zu „dem Philosophen“ gemacht und damit eben in die Nähe von Adorno oder Habermas gerückt wird, dann wird er auch daran gemessen. Benennen Sie doch Precht in Zukunft einfach als erfolgreichen Autor populärwissenschaftlicher Literatur, dann wird der Grund für die Häme entfallen. Ist er Philosoph, dann gilt auch für ihn, was die von Ihnen zitierte Philosophin J. Rebentisch sagte, nämlich: Es gebe einfach Gründe dafür, warum manche Dinge einer anderen Sprache bedürfen, weil sie schlicht kompliziert seien. Wenn Precht dann sagt, dass er beim Schreiben eines Fachaufsatzes vor dem Problem stand, nicht verständlich schreiben zu dürfen, weil Klarheit dem akademischen Code widersprochen hätte, kann das leider als Hinweis darauf gewertet werden, dass er hier etwas nicht verstanden hat, ist doch gerade die absolute Klarheit und auch schon die Klärung der Begriffe eine der Grundvoraussetzungen der „akademischen“ Philosophie.

UTE ALTANIS-PROTZER, Berlin