Gib ihm die Pistole!

ÜBERTRAGUNG Banker als Anarchist: eine Installation nach Pessoa in der Galerie Supportico Lopez

Ich müsste Geld verdienen. Genug davon, um seine Macht nicht mehr zu spüren

Nur wenigen Künstlern gelingt es heute, provokative Arbeiten zu machen. Sobald etwas in einer Galerie oder einem Museum ausgestellt ist, ist es Kunst und verliert seine Brisanz. Gib dem Künstler eine Pistole in die Hand, und er schießt in die Galeriewand (Lawrence Weiner, 1969). Gib dem Assistenten eine Pistole, und er schießt dir in den Arm (Chris Burden, 1971). Gib dem Betrachter eine Pistole und er wird versuchen, dich zu erschießen (Marina Abramovic, 1974).

Dem Bankier eine Pistole gegeben hat der Künstler Jan Hammer. In Kreuzberg, in einem Hinterhof in der Graefestraße, wird eine kleine Galerie von zwei Neapolitanern geführt. Man steigt über eine steile Treppe in einen dunklen Keller hinunter und glaubt in einem Untergrundkino angekommen zu sein. Wider Erwarten rahmt eine samtene Vorhangwand eine Blue-ray-Projektion ein und verleiht dem Raum die erhabene Atmosphäre eines kleinen Filmpalastes. Sehen wir die Direktübertragung einer amerikanischen TV-Talkshow?

Das Format ist konventionell, der Inhalt scheinbar ebenso: Ein junger, relativ bieder wirkender Moderator sitzt an einem hochglanzpolierten Eichentisch einem biederen, älteren, knopfäugigen Mann gegenüber, der behauptet, Geld ermögliche ihm, ein Anarchist zu sein: „Ich müsste Geld verdienen – ich müsste genug davon verdienen, um seine Macht nicht mehr zu spüren. Je mehr ich verdiente, umso freier wäre ich. Erst als ich das klar erkannt habe, erst dann trat ich in die gegenwärtige Phase – die kommerzielle Bankiers-Phase – meines Anarchismus ein.“

Wir nehmen Platz, tauchen in die Geschichte ein und schauen, wohin sie uns führt. Der Bankier ist unheimlich beredt und wortgewandt, seine Logik scheint unaufhaltsam. Um seinen rationalen Egoismus und unverfrorenen Individualismus zu begründen, werden von ihm marxistisches Vokabular ebenso wie das der politischen Rechten schamlos genutzt und vermischt. Der Moderator wirft ihm Verbrechen gegen die Menschheit vor: 1.000 Jobs im Austausch gegen einen riesigen Bonus. Wie kann er da immer noch behaupten, ein Anarchist zu sein? Die aalglatten Antworten treiben die Geschichte weiter voran.

Das Drehbuch von Ana Teixeira Pinto adaptiert eine 1922 geschriebene Kurzgeschichte von Fernando Pessoa und überträgt den satirischen Dialog unmerklich auf heute, um die Menschen verachtenden Praktiken des Neoliberalismus zu entlarven. Wir erfahren, dass der Bankier aus der Arbeiterklasse stammt, mit 20 Anarchist geworden ist und sich damals unter anderem in einer Organisation namens Pro-Act engagiert hatte. Er behauptet von sich, in Theorie und Praxis immer noch Anarchist zu sein, obwohl er sich gleichzeitig als Freedom Fighter bezeichnet und sich der Sprache der Bush-Ära bedient. Die Handlung des Films nimmt eine absurde Wendung, als der Anarchist den Moderator fragt: Falls ich ein Dutzend Kapitalisten umbringen würde, würde das den Ist-Zustand verändern?

Lasst uns behaupten, dass noch nie in der Geschichte ein Bankier auf einen anderen geschossen hat. Vielleicht führt der Verkauf von Daten aus Schweizer Banken dahin. Um herauszufinden, was dann passieren könnte, muss man die Galerie Supportico Lopez aufsuchen. APRIL LAMM

FRANZ VON STAUFFENBERG

■ Bis 13. 3., Graefestr. 9, Keuzberg