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KAPITALMARKT Norbert Walters Buch „Marktwirtschaft, Ethik, Moral“ zeigt, wie falsch der Chefökonom der Deutschen Bank mit seinen Analysen lag

Das Eigentum wurde nicht durch „die strangulierende Steuerpolitik“ bedroht, wie Walter 2002 fürchtete

Norbert Walter präsentiert in seinem neuen Buch „Marktwirtschaft, Ethik, Moral“ vier Vorträge aus den letzten sieben Jahren. Für den Mut, diese Texte wieder abzudrucken, ist der Autor, Chefökonom der Deutschen Bank, zu loben. Denn einiges von dem, was Walter 2002 und 2003 schrieb, erscheint heute doch in etwas weniger rosigem Licht. Spätestens die schwere Krise hat den Kapitalismus und mit ihm die soziale Marktwirtschaft ins Gerede gebracht.

Es klingt heute fast schon komisch, wenn Walter in einem Vortrag im November 2002 vom – so wörtlich – „Sozialismus deutscher Prägung“ sprach, der Westdeutschland dreißig Jahre lang geprägt habe. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, Walter hätte dem heutigen Leser kurz erklärt, was er damals mit „Sozialismus“ meinte.

Das Eigentum wurde auch nicht durch „die konfiskatorische, strangulierende Steuer- und Abgabenpolitik“ bedroht, wie Walter 2002 befürchtete, sondern durch die außer Rand und Band geratenen spekulativen Geschäfte auf den Finanzmärkten, die eine beispiellose Wertvernichtung, das heißt eine kalte Enteignung von Anlegern, bewirkt haben sowie eine gigantische Belastung für Generationen von Steuerzahlern.

Freilich muss man Walter auch zugute halten, dass er bereits damals auf die Konfliktpotenziale hinwies, die zwischen der Orientierung an Familienwerten und Börsenwerten bestehen.

Seine Ausführungen über die Grundlagen wirtschaftlichen Handelns – Werte, Tugenden und Religion – sind subjektiv sicher ehrlich gemeint. Walter bekennt sich zur christlichen Fundierung der EU-Verfassung und „einem Leben nach dem Tod“, wenn er schreibt: „Diesen Bezug über uns hinaus, über unsere Zeit hinaus, als letzte Versicherung, als letzte Verankerung, dieses Etwas, das eben auch unser Leben in der effizienten Welt, in der Gesellschaft, in der wir uns befinden, überhaupt erst wirklich erträglich und möglich macht, ist es, was eine Gesellschaft erst erzeugt und bindet.“

So überzeugend diese Sätze als religiöses Bekenntnis sind, so brüchig erscheint ihre Verbindung zu den wirtschaftlichen Realitäten. Dass „funktionsfähige Kapitalmärkte“ dafür sorgen, dass das Kapital weltweit gleichsam „automatisch zu den produktivsten Unternehmen gelangt“ und dass obendrein eine „leistungsgerechte Entlohnung“ garantiert wird, behaupten heute nicht einmal mehr die lautesten Trommler der Marktwirtschaft.

Weder existieren funktionierende Rahmenregelungen und Sanktionen für die Exzesse an diesen Finanzmärkten noch ein Hauch jener „moralischen Selbstverpflichtung“ und des „gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins“, die Norbert Walter bei den Managern anmahnt.

Angesichts der Löhne und Boni für Manager erscheint die Rede von „Verantwortungsbewusstsein“ und „Leistungsgerechtigkeit“ allenfalls noch für das Kabarett tauglich. RUDOLF WALTHER

Norbert Walter: „Marktwirtschaft, Ethik und Moral“. Berlin University Press 2009. 88 Seiten, 24,90 Euro