Experten gegen Arztpflicht

Medizinische Pflichtuntersuchungen sind nach Ansicht von Fachleuten kein Mittel gegen Kindesmisshandlung

Ob jährliche medizinische Pflichtuntersuchungen von Kindern wirklich Misshandlungen und Vernachlässigungen verhindern können, wollte die SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag gestern von einer ExpertInnenrunde wissen. Die klare Antwort: Mitnichten. VertreterInnen von Ärzteverbänden, Krankenkassen sowie Kinder- und Sozialverbänden sprachen sich bei der öffentlichen Anhörung stattdessen für eine bessere Vernetzung von Ärzten und Sozialeinrichtungen aus.

Der Vizepräsident der Ärztekammer Niedersachsen, Gisbert Voigt, warnte davor, dass Pflichtkontrollen das Arzt-Patienten-Verhältnis belasten könnten. „Es entstünde der Eindruck, der Arzt sei der verlängerte Arm des Staates“, sagte Voigt. Hans-Joachim Schwartz von der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen sagte, durch Zwang könnte die Motivation der Eltern sinken, Hilfe anzunehmen.

Um diese wirklich zu erreichen, sei es sinnvoller, sie besser aufzuklären und ihnen einen einfacheren Zugang zu Hilfsangeboten anzubieten, so die Fachleute. Wenn Fehlentwicklungen bei Kindern festgestellt werden, würde das von Eltern oft als diskriminierend und stigmatisierend empfunden. „Das führt zu einem Rückzug der Familien“, sagte Johannes Schmidt vom Deutschen Kinderschutzbund.

Anlässlich der Berichte über vernachlässigte und misshandelte Kinder hatte Hamburg Anfang des Jahres eine Bundesratsinitiative für Pflichtuntersuchungen gestartet. In Niedersachsen hatte die SPD die Landesregierung aufgefordert, Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht zu machen. Ein SPD-Sprecher sagte jetzt, der Antrag solle „nachgebessert“ werden. Zumindest einen Arztbesuch will Sozialministerin Mechthild Ross-Luttmann (CDU) vorschreiben. In der Folge des neuen Gesetzes über den Öffentlichen Gesundheitsdienst sollen alle Kinder ab 2007 zur Schuleingangsuntersuchung erscheinen. dpa