kritik der woche
: Verzücken durch Anwesenheit

Daniel Küblböck hat uns was mitzuteilen. Uns, dem Land, das ihn liebt oder hasst. „Liebe Nation, ich hab was zu sagen. Dreht euch zum Dancefloor und rockt durch den Abend“ – so klingt sein Umgang mit der Polarität. Er hat seine neue Platte wie den ersten Song seines Konzerts „Liebe Nation“ genannt und wenn er wie am Wochenende im Hamburger Grünspan auftritt, ist sie auch hier geteilt, die Nation, in kreischende Mädchen unter 45 und genervte Männer, die ihre kreischenden Töchter/Frauen zu einem Konzert begleiten, für das niemand ohne Not 50 Euro Eintritt zahlt.

Da steht er nun, blaue Jeans, schlichtes T-Shirt, kürzere Haare, kaum eine Spur vom einst so schillernden Casting-Star. Ein junger Mann, der im Eiltempo nach oben kam, die Flüchtigkeit des Erfolgs erfahren hat und jetzt für etwas Nachhaltigkeit kämpft. „Wie gefällt euch mein Bart?“ Wenn der moralische Sieger von Deutschland sucht den Superstar 2003 den 600 Zuschauern solche Sätze entgegenbayert, brandet ein Jubel auf wie bei den Beatles, nur dass den Gästen mehr Platz zum Durchdrehen bleibt. Er hätte auch „Nanu“ rufen können, oder „wie gefällt euch mein glatt rasiertes Gesicht“ – die Phonstärke wäre identisch gewesen. Küblböck verzückt sein Publikum durch bloße Anwesenheit.

Dass er mittlerweile richtig rockt, eine krachende Begleitband im Rücken, ist eher Nebeneffekt guten Marketings als gereiftes Repertoire. Wenn er zu harten Einszweidreivier-Lines Dinge singt wie „denn ich gehör nicht jedem, denn ich gehör nur mir“, grölen auch jene jede Silbe mit, die vor dem Auftritt noch zu Kirmestechno geschunkelt haben. Wenn er eine Ballade trällert, leuchten auf sein Kommando alle eingangs verteilten Feuerzeuge auf und es wird klar, wo die absurden Kirmesneonarmbänder nach Dombesuchen so landen. Wenn er „Flugzeuge in meinem Bauch“ covert, dreht sich Grönemeyer-Fans der Magen um, doch das Lied soll eben rau und uninspiriert wirken. Anpassen durch Anbiedern war gestern, war DSDS, war ausgelaugt und nicht mehr geschäftstauglich.

Küblböck tut weiter, was er am besten kann: Er gibt die Rampensau, spielt mit seinen Gästen, bringt sie zum Schreien, greift sich gelegentlich in den Schritt und trifft die Töne selten. Derweil sorgt Hamburgs Obertranse Olivia Jones mit zotigen Ansagen für Schlüpfrigkeit und am Ende gehen alle selig nach Hause. Komisch, dass Daniel Küblböck so polarisiert – wo er ist, ist die Mitte.

Jan Freitag