Arzt oder Blaulicht

Wer glaubt, sich in einer Notlage zu befinden, sollte nicht versuchen, den Hausarzt zu erreichen, sagen Rettungssanitäter in Schleswig-Holstein. Die Kassenärztliche Vereinigung sieht das anders

Im Ernstfall, sagen Retter, ist das Krankenwagenteam besser als ein Arzt

von Esther Geißlinger

Wenn Sebastian Melzer in Arztserien hineinzappt, packt ihn oft die Wut: Ohne Onkel Doktor scheint da nichts zu gehen. Dabei, meint Melzer, gibt es doch Profis, die auf den schnellen Einsatz spezialisiert sind: ausgebildete Rettungsassistenten, die im Krankenwagen unterwegs sind und auch ohne Medizinstudium einen Großteil der Patienten versorgen können. Vor allem kommt diese Hilfe schnell: Grundsätzlich ist das System so aufgebaut, dass ein Rettungswagen auch auf dem platten Land binnen zwölf Minuten beim Patienten ist. Bei Bedarf kann ein Notarzt dazugerufen werden, er sollte nicht länger als 20 Minuten brauchen.

„Wir haben in Deutschland eines der dichtesten Netze der Welt“, sagt Melzer, der an der Berufsschule für den Rettungsdienst in Schnerverdingen den Nachwuchs schult. Darum findet er: „Wer glaubt, dass er sich in einer Notlage befindet, sollte gar nicht versuchen, seinen Hausarzt zu erreichen, sondern die 112 wählen.“ Denn im Ernstfall, meint der Retter, sei der Krankenwagen nicht nur schneller, sondern auch die Hilfe kompetenter – sogar ohne Arzt an Bord: „Bei den Notdiensten der niedergelassenen Ärzte sind auch Gynäkologen und Augenärzte unterwegs – die haben von einigen Krankheiten nicht mehr Ahnung als ein Bäckergeselle.“

Zur Zeit existieren zwei Notdienstsysteme parallel: Das eine ist an die Krankenhäuser gekoppelt und umfasst Krankenwagen, Notärzte und Rettungsassistenten. Das zweite betrifft niedergelassene Ärzte, die verpflichtet sind, außerhalb der Sprechstunden Notdienste anzubieten. In Schleswig-Holstein will die Kassenärztliche Vereinigung (KV) dafür demnächst zentrale Praxen einrichten – beispielsweise in Krankenhäusern. Patienten mit leichteren Beschwerden sollen dorthin fahren, schwerere Fälle sucht der Arzt auf. Das Ziel: Ärzten weniger Dienste aufzuhalsen.

Viel zu kompliziert, findet Melzer: „Dieses System ist entstanden, als es noch nicht so viele Rettungswagen gab.“ Heute stehen die aber – Kosten: bis zu 250.000 Euro – oft zu lange unbenutzt im Depot, Rettungsteams langweilen sich in der Wache. Einige ländliche Standorte sind bereits geschlossen, das Netz bekommt Lücken. Würden Wagen und Teams besser genutzt, so Melzer, steige die Sicherheit – und die Kosten hielten sich in Grenzen. Er meint: „Rettungswagen sind preiswerter als niedergelassene Ärzte.“

Die Kostenfrage beschäftigt auch die Krankenkassen. Sie zu beantworten, ist allerdings schwer: Nacht- und Wochenendfahrten der Hausärzte werden aus dem Gesamtbudget bezahlt. Berechnet wird, was der Arzt am Patientenbett tut, seine Anfahrtsstrecke, außerdem gibt es Nachtzuschläge. Die Krankenwagen-Touren kosten in jedem Kreis unterschiedlich viel. Buhlen mehrere Rettungsdienste um Fahrten, drücken sie sich gegenseitig im Preis. Eine Zahl als Anhaltspunkt: Ein durchschnittlicher Krankenwageneinsatz im Kreis Schleswig-Flensburg kostet 173,11 Euro. Aber: „Es geht hier nicht um billig – die Qualität steht im Vordergrund“, sagt Verbandskassen-Sprecher Oliver Grieve. Denn so gut die Rettungsassistenten seien: Ein ausgebildeter Arzt sei im Notfall doch besser.

Das findet auch Robert Quentin, Sprecher der KV Schleswig-Holstein: „Unser Notdienst ist sicherer und preisgünstiger.“ Ändern ließe sich das heutige Doppelsystem nur über eine Gesetzesänderung. Dafür fehle den Rettern aber die Lobby, bedauert Melzer.

Kassensprecher Grieve meint aber: „Wenn sich die Ärzte ständig beklagen, dass ihnen die Arbeit zu viel wird, müssen sie sich nicht wundern, wenn das bei anderen Berufsgruppen Begehrlichkeiten weckt.“ Es könne durchaus sein, so Grieve,„dass sich die Ärzte mit der Diskussion über ihre Notdienste einen Bärendienst erweisen.“