Die Atom-Mühle

Wirtschaftsminister Michael Glos stammt aus einer alteingesessenen Müllersfamilie

Tief verschneit und totenstill liegt die Mühle im unterfränkischen Brünnau. Hier klappert nichts am rauschenden Bach, einzig der weiße Dampf, der dem idyllisch gelegenen Kühlturm entsteigt, kündet vom geschäftigen Treiben im Innern. Es ist die modernste Mühle Deutschlands, reinstes Hightech, angetrieben vom ersten mittelständischen Atomkraftwerk.

Inhaber der Mühle ist kein Geringerer als Wirtschaftsminister Michael Glos. Hier in Brünnau, einem Ortsteil von Prichsenstadt, wurde er geboren, hier lernte er das Mahlen goldenen Korns von der Pike auf – hier wurde er Müllermeister. Der Betrieb ist seit Generationen im Familienbesitz.

Ein Müller aus der Umgebung, der damals mit dem späteren CSU-Aufsteiger Geschäfte machte, erinnert sich genau: „Der Glos Michel war damals schon ein Atomkraftfan, aber wir sind gut miteinander ausgekommen“, sagt er und setzt mit einem Augenzwinkern hinzu, dass Glos auch bei den meisten anderen Unternehmern aus der Region beliebt gewesen sei. Die Geschäfte seien „fast immer absolut sauber über die Rampe gegangen“.

Zu den Werten und Zielen, die Glos verfolgt, seit er vor 29 Jahren als jüngster CSU-Abgeordneter in den Bundestag gewählt wurde, zählen Wertschätzung des Althergebrachten wie auch ein aus dem mittelständischen Unternehmertum abgeleiteter Glaube an den technologischen Fortschritt, der Eigenverantwortung in den Mittelpunkt stellt.

Seine Begeisterung für die stille Kraft der Atome hat allerdings auch einen ganz handfesten Hintergrund im regionalen Mahlwettbewerb. Etwa 20 Kilometer entfernt von der Glos-Mühle, in Schweinfurt am Main, steht nämlich die Kramer-Mühle – der ewige Konkurrent. 500 Tonnen Getreide verarbeitet das moderne Mahlwerk binnen 24 Stunden. Und wenn die Kramer- Mühle nicht mahlt, wird die mit Wasserkraft gewonnene Energie ins Stromnetz gespeist – das macht sich bezahlt. Dieser Energievorteil der Kramer-Mühle hat die meisten anderen Mühlen in der unterfränkischen Umgebung zum Stillstand gebracht. Auch der gelernte Müllermeister Michael Glos war von der Entwicklung betroffen. Während die Konkurrenzmühle in Schweinfurt die Wasserenergie gratis zur Verfügung hatte, verschlangen die mit Strom betriebenen Mahlwerke der Glos’schen Mühle mehrere 10.000 Mark an Energiekosten pro Jahr.

Als in den Siebzigerjahren das große Mühlensterben in Deutschland einsetzte, bot der Staat den Müllern Schließungsprämien an, denn die vielen Dorfmühlen waren unwirtschaftlich geworden. Aber Michael Glos ist nicht der Mann, der sich vom Staat alimentieren lässt. Hier war unternehmerisches Handeln gefordert – freiheitliche Marktwirtschaft statt Sozialismus. Glos nutzte seine Kontakte zur Bundeswehr und ließ seine Mühle mit dem Reaktor eines ausrangierten U-Bootes ausrüsten. Dank dieser preisgünstigen und störungsfreien Antriebstechnologie konnte der knorrige Unterfranke als Einziger dem Mühlensterben trotzen und der Konkurrenz sogar Kunden abjagen, denn seine Atommahlwerke schafften jetzt plötzlich 1.000 Tonnen am Tag.

Kein Wunder also, wenn der streitbare „Atom-Müller“, wie Glos in seiner Heimatpartei mitunter genannt wird, als Wirtschaftsminister vehement gegen den deutschen Atomausstieg wettert. Er ist ein Mann von hervorragender handwerks- und mittelstandspolitischer Kompetenz, der die Sorgen und Nöte des Mittelstands und seine eigene Brieftasche bestens kennt. Er weiß genau, dass nach dem staatlich verordneten Abschalten der AKWs auch in seiner Mühle endgültig die Lichter ausgehen würden. Und dann hätte sein großes Zukunftsprojekt keine Chance mehr auf Verwirklichung: Sein Betrieb soll nämlich zur Partnermühle für alle bayerischen Bauern werden, die gentechnisch verändertes Getreide anbauen.

RÜDIGER KIND