Wiedergeburt einer Prinzessin

Marianne Timmer gewinnt den olympischen Eisschnelllaufwettbewerb über 1.000 Meter. Das ist eine Überraschung, denn sie hat in dieser Saison noch kein Rennen über diese Distanz für sich entscheiden können. Anni Friesinger holt Bronze

AUS TURIN CHRISTIANE MITATSELIS

Marianne Timmer, die blonde Eisschnellläuferin aus den Niederlanden, war die Sache offensichtlich nicht ganz geheuer. Da kam doch tatsächlich ihr Freund Henk, der zufällig auch Timmer mit Nachnamen heißt und Fußball-Torwart beim Ehrendivisionär AZ Alkmaar ist, auf die Idee, ihr im Fernsehen einen Heiratsantrag zu machen. „Willst du mich heiraten, Schätzchen?“, rief Henk Timmer aus dem Amsterdamer TV-Studio am Sonntagabend rüber ins Turiner Olympia-Studio, wo seine Holde saß und schön cool auf die Kitschvorlage reagierte: „Na ja“, sagte sie, „ich dachte nicht, aber eigentlich ja. Er kniet nicht vor mir – über so eine Entfernung.“ Hmhmhm … Timmer dachte nach und fuhr fort: „Henk, du musst noch eine Gegenleistung bringen, bevor ich Ja sage. Du kannst mit AZ Meister werden oder im Sommer bei der WM mit Oranje auftrumpfen.“ Keine einfachen Aufgaben für den Ersatzkeeper der Elftal, Alkmaar ist nur Dritter in der Ehrendivision, und Holland bei der Fußball-WM, na ja. Timmer war ja schon mal verheiratet, da wird man vorsichtig.

Seit Sonntagabend ist die 31-Jährige, die so aussieht, wie eine Holländerin im Idealfall auszusehen hat, außerdem dreimalige Olympiasiegerin. Bei den Winterspielen in Turin gewann sie völlig überraschend das 1.000-Meter-Rennen vor Cindy Klassen aus Kanada und Anni Friesinger aus Inzell. Vor acht Jahren, 1998 bei den Spielen in Nagano, hatte Timmer ebenfalls über 1.000 Meter und dazu über 1.500 Meter triumphiert. „Es ist unglaublich, wieder Gold zu gewinnen, unglaublich“, sagte sie leicht verdattert. In dieser Saison waren der erfahrenen Eisschnellläuferin noch keine guten Zeiten über 1.000 Meter gelungen, im Turiner „Oval Lingotto“ glückte ihr dagegen am Sonntagabend alles in einem Lauf.

Die 500 Meter hatte sie nicht laufen können. Wegen zweier Fehlstarts war sie disqualifiziert worden. „Ich war voller Adrenalin, mein Körper wollte das Rennen“, berichtete sie. Und so lief Timmer auch. Markus Eicher, Trainer von Anni Friesinger, gestand neidlos ein: „Das war perfekt. So einen Lauf haut sie nicht alle Tage raus, da hat alles gestimmt.“ Überhaupt schwanke Timmers Leistungsvermögen zwischen „1 und 15“, meinte Eicher – er kennt die Athletin aus Holland gut: Schließlich ist seine Anni Friesinger seit zehn Jahren mit Timmer befreundet. Die 29-Jährige war zwar Favoritin über die 1.000 Meter, doch es wirkte ehrlich, als sie sagte: „Marianne hat den Sieg verdient.“ Timmer selbst sprach davon, sie fühle sich wie „im Film“, und in der Tat könnte ihre Geschichte fürs Gefühlskino taugen.

Im Alter von sieben Jahren begann die Tochter einer Friseurin und eines Schafzüchters aus dem Groninger Dorf Sappemeer mit dem Eislaufen. Sie hatte Talent und Ehrgeiz, ihre Karriere verlief entsprechend steil erfolgreich – und fand ihren vorläufigen Höhepunkt in Nagano, wo sie auf den 1.500 Meter Gunda Niemann-Stirnemann besiegte und über 1.000 Meter vor Chris Witty triumphierte. Danach lebte Timmer wie eine Prinzessin in Holland in Saus und Braus, sie war Stargast auf Empfängen und in TV-Shows. Sponsoren bemühten sich um sie. „Damals war alles möglich, ohne zu bezahlen“, sagte sie später. Sie ließ sich auch noch halb nackt für eine Zeitschrift ablichten – und dann heiratete sie den falschen Mann. 2001 in Las Vegas vermählte sich Timmer – überraschend und zum Verdruss ihrer Eltern – mit ihrem Trainer, dem Deutsch-Amerikaner Peter Mueller aus Milwaukee. Die Ehe mit dem 20 Jahre alten autoritären Coach hatte keinen positiven Einfluss auf die junge Sportlerin. Der Bruch mit der Familie belastete sie, dazu kamen ständige Teamwechsel, ihre sportlichen Leistungen litten. Erst als sie sich 2003 von Mueller scheiden ließ, blühte sie wieder auf. „Die alte Marianne ist zurück“, sagte sie. Sie wurde 2004 in Nagano erste holländische Sprint-Weltmeisterin im Schlittschuhland Holland und in Seoul Vizeweltmeisterin über 1.000 m. Ja, und sie lernte ihren Henk kennen, gewann Gold und den Heiratsantrag.

Da ist Freundin Friesinger doch ein bisschen neidisch, denn sie muss auf den Antrag ihres Freundes Ids Postma noch warten. „Bei Olympia werde ich sie nicht fragen. Sie soll sich auf die Spiele konzentrieren“, teilte der Niederländer mit. Schließlich hat Friesinger, die noch über 1.500 und 5.000 Meter startet, in Turin noch kein Einzelgold gewonnen.