In der Seele gebaggert

Die Doku „Erwischt! Wenn Stehlen zum Zwang wird“ versucht, sich dem Thema Kleptomanie zu nähern. Allerdings tritt ZDF-Autorin Iris Pollatschek ihren Interviewpartnern zu nahe

VON DAVID DENK

Zwei Kilo gemischtes Hack, Flasche Wein, Socken, Wurst, Käse – in den ersten 30 Sekunden ihrer Dokumentation „Erwischt! Wenn Stehlen zum Zwang wird“ macht ZDF-Autorin Iris Pollatschek klar, dass Kleptomanie kein Spaß ist, sondern eine Krankheit. Diese drei Menschen, zwei Frauen und ein Mann, die Pollatschek für ihren 30-Minüter vor die Kamera geholt hat, klauen nicht, um sich Wünsche zu erfüllen, die ihre knappen Budgets nicht zulassen oder weil sie ihrer Clique etwas beweisen wollen. Sie klauen, weil sie nicht anders können.

„Das ist wie ’ne Sucht irgendwie, aber ’ne Sucht, mit der man fertig werden kann – hoffentlich.“ Über die derart zweckoptimistische junge Frau weiß der Zuschauer kaum mehr, als dass sie noch ziemlich jung ist und ziemlich ausgebremst. Seit ihrem Studienabschluss ist sie arbeitslos und hat Angst, dass ihre Krankheit einer Karriere im Wege stehen könnte. Obwohl sie nur schwer über ihre psychischen Probleme reden kann, macht sie eine Gruppentherapie, die ihr gut tut. Regelmäßig gefragt zu werden, ob sie rückfällig geworden sei, helfe ihr sehr, sagt sie.

Wie die anderen beiden Protagonisten war sie nur bereit, ihre Geschichte anonym zu erzählen, verborgen hinter schrecklich grellen Kostümierungen aus dem Fundus der 80er und 90er Jahre. Stellvertretend formuliert Pollatschek das im Fall von „Michael Müller“ so: „Er ist bereit, sein Innerstes zu offenbaren, solange sein Äußeres verborgen bleibt.“ Zu groß ist die Angst, erkannt zu werden. Die Dritte im Bunde, die wegen Diebstahls schon im Gefängnis saß, glaubt ohnehin, dass alle Leute ihr ansehen können, dass sie stiehlt. Das Gericht hat sie wenig sensibel eine „krasse Bewährungsversagerin“ genannt. Ihr droht erneut Haft. „Strafe statt Hilfe – so endet der Teufelskreis aus Stehlen und Verdrängen nie“, dichtet Pollatschek.

Das Anliegen ihres Films ist ehrenwert, sie macht die Opfer in den Tätern sichtbar, ohne ihre Verbrechen zu leugnen. Beklemmend eng ist es in ihren Leben, auch finanziell, aber vor allem psychisch: Schicksalsschläge, Missbrauch und Tod haben sich zu unschönen Leitmotiven verkettet und sie sich darin verheddert. Der Zuschauer merkt bald, dass sie da alleine so schnell nicht wieder rauskommen.

Aufmerksam gemacht – Ziel erreicht, könnte man denken. Doch Autorin Pollatschek verspielt einige der gesammelten Sympathiepunkte leider wieder: Am schlimmsten ist, dass sie ihre Protagonisten durchweg duzt und dadurch eine Nähe herstellt, die kein Therapeut zulassen würde. Aus guten Gründen. Pollatschek verkennt ihre Rolle. Anstatt sich aufs journalistisch-distanzierte Fragen zu konzentrieren, tritt sie ihren Interviewpartnern zu nahe, etwa wenn sie die arbeitslose Akademikerin ermahnt, doch bitte öfter mal „ich“ zu sagen, statt immer nur „man“.

Das ist ähnlich unerträglich wie die abgegriffene Sprache ihrer Texte aus dem Off. „Wenn Michael Müller durch die Stadt geht, erinnert ihn viel an früher, als seine Welt noch in Ordnung war. Er war ein erfolgreicher Immobilienmakler, seine Frau managte eine Zahnarztpraxis. Der Ku’damm war ihre Meile, Theater, Kino, schicke Restaurants ihr Leben. Doch dann krachte die Immobilienbranche zusammen.“ Den letzten Satz bebildert sie allen Ernstes mit einem Bagger, dessen Schaufel in einem Schutthaufen stochert. Mir fehlen die Worte.