KOMMENTAR: BENNO SCHIRRMEISTER über Systemversagen
: Mehr als ein Einzelfall

Es sind Fehler passiert bei der Behandlung der Ayten Akin: Die alte Frau ist zweimal lebensbedrohlich krank aus Bremer Kliniken geworfen worden – trotz des Protests ihres Sohnes, trotz einschlägiger Krankengeschichte und trotz einer korrekten hausärztlichen Diagnose. Gut möglich, ja wahrscheinlich sogar, dass sie gestorben wäre, wenn ihr Sohn sie nicht umgehend ins nächste Krankenhaus gerettet hätte.

Das ist schlimm. Aber ratlos an dem Fall macht die Beharrlichkeit, mit der diese offenkundigen Fehler ignoriert und eine Verfolgung ihrer Ursachen geradezu sabotiert wird: Wenn einem diagnostizierten Notfall die Notaufnahme ins Krankenhaus verweigert wird, würde eine nach Recht und Gesetz arbeitende Staatsanwaltschaft hier Vorsatz prüfen. In Bremen bestellen die Ermittler dagegen bloß ein Gutachten beim betroffenen Krankenhaus. Einer der Beschuldigten rühmt sich später sogar noch vor Zeugen, daran mitgewirkt zu haben.

Ein Senatsmitglied, damals Staatsrat, heute Senator für Gesundheit, belügt das Parlament in Gestalt des Petitionsausschusses. Statt der weltweit anerkannten Grenzwerte präsentiert er den Abgeordneten frei erfundene Zahlen. Das kann nicht mit den „erforderlichen Auskünften“ gemeint sein, die er laut der Bremischen Landesverfassung hätte erteilen müssen – sofern die auch für einen Dr. med Hermann Schulte-Sasse gilt.

Der Fall Akin hätte ein kleiner Fall sein müssen. Sein Eskalationspotenzial bezieht er aus der Weigerung, Fehler anzuerkennen, nach Kompensationen für die aus ihnen resultierenden Härten zu suchen: Die Fähigkeit zum Umgang mit immanenten Fehlern ist ein guter Indikator für die Güte eines Systems. Wer sich Gedanken über das System Bremen macht, muss über den Fall Akin erschrecken.SEITE 23