„Ich hab’s wirklich versucht“

TENNIS Im Wimbledon-Finale scheitert Sabine Lisicki an ihren Nerven und ist gegen die Französin Bartoli chancenlos

Es liegt in ihren Händen, ob es eine zweite oder dritte Chance geben wird – so wie einst bei Jana Novotna

AUS LONDON DORIS HENKEL

Um die Mittagszeit hob Flug BA 0984 in Heathrow ab und stieg in den blauen Himmel. An Bord waren Tennistaschen, vollgepackt mit Erinnerungen, aber ein wertvolles Gepäckstück fehlte. Nichts hätte sich Sabine Lisicki mehr gewünscht, als mit der Replika der berühmten Schale nach Berlin zu fliegen, die kleine Nachbildung aber verbrachte den Tag noch in Wimbledon in der Nähe der Siegerin, Marion Bartoli.

Die Französin hatte nach dem Finale sehr schön beschrieben, wie man sich fühlt, wenn man das wichtigste Turnier der Welt gewonnen hat. Und dies auch noch so deutlich mit 6:1. 6:4: „Selbst in einem perfekten Traum hätte ich nicht von einem perfekten Moment wie diesem träumen können.“ Keine Frage, Sabine Lisicki hatte sich diesen Samstag anders vorgestellt. Hatte gehofft, sie würde so spielen wie während der ganzen Zeit des Turniers, in dessen Verlauf sie drei Grand-Slam-Siegerinnen besiegt hatte, darunter die scheinbar allmächtige Titelverteidigerin Serena Williams.

Aber dann kam alles ganz anders. Sie schlief schlecht in der Nacht vorher, und die kleinen Besonderheiten des letzten Tages summierten sich zu einem Gefühl, mit dem sie nicht umgehen konnte. Es ist so leicht, beim Gedanken an die Nähe des ersehnten Titels nervös zu werden. Und es ist so schwer, diese Nervosität zu kontrollieren, zumal wenn einem die Kraft dafür fehlt. Bis zum Tag vor dem Finale hatte Lisicki das Gefühl gehabt, auf einer Wolke zu schweben, aber als die Wolken auseinanderdrifteten, stellte sie fest, dass sie nichts dagegen tun konnte. Sie war längst nicht mehr so frisch wie erhofft; sie hatte die physischen und psychischen Anstrengungen der Spiele zuvor unterschätzt.

Von Anfang an stand sie unter Druck; Bartoli feuerte drauflos, sie selbst versuchte sich zu wehren, doch es gab nirgendwo ein Fleckchen Sicherheit. Nicht beim Aufschlag, bei dem sich ihre Nervosität am deutlichsten zeigte, nicht bei den sonst so mächtigen Grundschlägen, die einmal kamen, aber dann dreimal nicht. „Ich wollte mich konzentrieren, aber es ging nicht“, erklärte sie. „Ich hab’s versucht, ich hab’s wirklich versucht.“

Wie sehr sie sich bemühte, die Dinge noch zu wenden, sah man vor allem Ende des zweiten Satzes, als sie drei Matchbälle abwehrte und ein Break erzwang, von 1:5 auf 4:5 herankam und man dachte, wenn sie jetzt den Ausgleich schafft, dann geht noch was. Aber das ließ Bartoli nicht zu. Das letzte Spiel, mit dem sie den Titel gewann, war ihr bestes, der großartige Schlusspunkt eines ebenso feurigen wie selbstbewussten Auftritts.

Die zutiefst enttäuschte Verliererin mochte nicht hinschauen, als die fassungslos glückliche Siegerin auf die Tribüne kletterte und dort den Freunden und vor allem Vater Walter Bartoli in die Arme fiel. Schon während des Spiels hatte Sabine Lisicki die Tränen nicht zurückhalten können, und es war klar, wie schwer ihr die Siegerehrung fallen würde. Natürlich fiel einem in diesem Moment der Zusammenbruch der Tschechin Jana Novotna vor 20 Jahren ein, die das Finale gegen Steffi Graf seinerzeit nach einem Doppelfehler bei einer Führung von 4:1 und 40:15 noch verloren und dann an der Schulter der Herzogin von Kent bitterlich geweint hatte.

Doch die kranke Herzogin kommt schon lange nicht mehr. Der Herzog macht nicht den Eindruck, als könne man an seiner Schulter weinen, und außerdem erledigte Lisicki die letzte, extrem schwere Aufgabe ohne Hilfe aus dem Königshaus. Natürlich sah man, wie sehr ihr die Enttäuschung zu schaffen machte, im entscheidenden Spiel nicht stark genug gewesen zu sein. Und sie war ehrlich, als sie im Interview auf dem Platz zugab, die ganze Situation sei vielleicht ein wenig zu viel für sie gewesen.

Einerseits hatte sie recht, als sie später sagte: „Das ist eine Gelegenheit, die du nicht jeden Tag bekommst.“ Serena Williams, die große Favoritin, hatte sie selbst aus dem Weg geräumt, Maria Scharapowa und Wiktoria Asarenka waren früh gescheitert. Aber andererseits hat sie noch mehr recht, wenn sie davon überzeugt ist, sie habe nicht zum letzten Mal in der Kathedrale des Tennis um den Titel gespielt. Sie ist erst 23 Jahre alt. Es liegt in ihren Händen, ob es eine zweite oder dritte Chance geben wird.

So wie bei Jana Novotna, die vier Jahre nach dem ersten noch ein zweites Finale verlor, dann aber den Titel gewann und die glitzernde Schale von ihrer einstigen Trösterin, der Herzogin, in Empfang nahm. Oder wie bei Marion Bartoli, bei der zwischen erstem Versuch und Vollendung sechs Jahre vergingen.