Ökoboom – aber ohne Ökobauern

Gegen die neue Biolebensmittel-Verordnung der EU wächst Widerstand: Konventionelle Bauern kämpfen erstmals gemeinsam mit „Öko“-Kollegen. Trotz 15 Prozent gestiegener Nachfrage nach „Bio“ nahm die Anbaufläche lediglich um 5 Prozent zu

Einerseits müssen Biobauern glaubwürdig bleiben, andererseits wachsen

VON HANNA GERSMANN

Eigentlich ist das der Traum aller Produzenten: Die Kunden kaufen so viel, dass die Produktion nicht mehr nachkommt. In der Biobranche aber sorgt der aktuelle Nachfrageboom für ein Paradox: Statt die Produktion von Bioäpfeln oder Ökokeksen anzuheizen, soll sie „abgeschafft werden“. Davor zumindest warnt Waltraud Wolff, die agrarpolitische Sprecherin der regierenden SPD. Mit einer neuen EU-Richtlinie zum Ökolandbau „konterkariert Brüssel alle Versuche, die Biobauern hierzulande zu fördern“.

Wer demnächst Bio kauft, könnte für sein Geld tatsächlich weniger Bio als bisher bekommen. Die EU-Beamten haben einen Entwurf zur neuen EU-Ökoverordnung vorgelegt, der für Ökolebensmittel nur vage Standards enthält. So sollen etwa „natürliche Stoffe künstlichen vorgezogen“ werden. Diese Formulierung lässt Herstellern großen Spielraum. Dadurch können mehr Artikel mit einem EU-Ökologo gekennzeichnet werden – obwohl sie weniger Öko sind. Länder, die bislang keine „Öko“-Qualität liefern können, bekämen so Zugang zum EU-Markt.

Angesichts solcher Pläne stellt sich jetzt erstmals die konventionelle Agrarlobby hinter die Ökos. „Die Existenz der Biobauern ist bedroht“, sagt Michael Lohse vom Deutschen Bauernverband. „Wir lehnen den EU-Vorstoß ab.“ Der Verband wirbt für Produkte „aus deutschen Landen“. So bekommt die Kritik einen protektionistischen Beigeschmack.

Doch offensichtlich kommt sie an – im Hause von Horst Seehofer (CSU). Zwar hat sich der Bundesagrarminister noch nicht zum EU-Vorschlag geäußert. Gestern hieß es aber, er lehne die EU-Ökoreform ab. Aus Sicht seiner Beamten tauge sie nichts.

Die Biobranche steckt jedenfalls in einem Dilemma. Woher soll der Öko-Nachschub kommen? „Einerseits müssen wir glaubwürdig bleiben, andererseits wachsen“, sagt Thomas Dosch, Chef vom Ökolabel Bioland. Mittlerweile sind selbst Bio-Fertiggerichte aus dem Tiefkühlregal heiß begehrt. Die Nachfrage nach Ökokost nahm im letzten Jahr um 15 Prozent zu.

Trotz des Booms ist der Ökoacker in der Bundesrepublik aber nur um fünf Prozent gewachsen. Derzeit wird auf 812.000 Hektar Ökoobst, -gemüse und -getreide angebaut. Die Zahl der Betriebe stieg in derselben Zeit um dürre 0,5 Prozent. 16.800 Höfe verzichten auf Ackergifte, Gentechnik und hochtechnisierte Ställe. In der Ökolandwirtschaft gibt es einen Wandel, den die konventionellen Bauern schon hinter sich haben: Kleinere geben auf, größere pachten Land hinzu.

„Viele Biolandwirte sind verunsichert“, sagt Alexander Gerber vom Bund für ökologische Lebensmittelwirtschaft. Sie plagten Geldsorgen. Denn die EU wolle den Finanztopf kürzen, aus dem die Ökolandwirte bisher auch in Deutschland gefördert wurden. Neue Biobauern kämen ohnehin nicht hinzu, weil Bundesländer – darunter Baden-Württemberg oder Sachsen – die Umstellungsprämie gestrichen hätten. Diese hat Sonderbelastungen abgefedert, die jeder Bauer hat, wenn er seinen Betrieb zum Biohof macht. Der Ökoboom findet ohne Bauern statt.