Vorwärts nach gestern?

SOZIALDEMOKRATIE Bei der SPD ist wieder mehr Staat angesagt. Aber die Partei weiß nicht recht, wozu – und wie sie die Fehler der Vergangenheit vermeidet

■ ist Politikwissenschaftler und Redaktionsmitglied der SPD-nahen Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte. Zuletzt erschien von ihm „Wir waren wie Maschinen. Die bundesdeutsche Linke der 70er Jahre“ (Rotbuch).

Die SPD hat in den vergangenen Post-Agenda-Jahren ihre Politik schleichend, aber fundamental umgestellt. Nachdem sie sich in der Ära Gerhard Schröders den vermeintlichen Allheilkräften des Marktes verschrieb, setzt sie nun auf mehr Regulierung und eine stärkere Rolle des Staates. Was manche Medien als „Linkskurs“ bezeichnen, ist in Wirklichkeit eine Rückkehr zur klassischen sozialdemokratischen Programmatik.

Die SPD will den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern ihm – so die Theorie – ein möglichst menschliches Antlitz geben. Dabei bedient sie sich typischerweise dreier Methoden: der Umverteilung mittels Steuerpolitik, der staatlichen Planung und Steuerung dort, wo der Markt versagt; schließlich der Schaffung von außerkapitalistischen Inseln in Form des öffentlichen Sektors. Heute will die SPD vielerorts bereits privatisierte Unternehmen rekommunalisieren. Die Frage ist, ob die SPD nicht nur aus den Fehlern der Schröder-Jahre, sondern auch aus denen davor gelernt hat. Denn das, was große Teile der Partei wollen, hat es schon einmal gegeben.

Versorgungsstätte für Genossen

Hoch-Zeit sozialdemokratischer Planungs- und Umverteilungspolitik waren die siebziger Jahre. Damals wollten Sozialdemokraten durch staatliche Steuerung und hohe öffentliche Investitionen nicht nur einzelne Probleme lösen, sondern auch gleich eine neue, bessere Gesellschaft schaffen. Die Bilanz war ernüchternd. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre herrschte in der Öffentlichkeit Ärger über Missmanagement, Ämterpatronage und Geldverschwendung öffentlicher Unternehmen. Die SPD verlor damals die Macht in einer Reihe von Großstädten, auch weil Kommunalpolitiker städtische Unternehmen als eine Art Parteieigentum betrachteten. Sie boten die Möglichkeit, unbequem gewordene Parteifunktionäre durch attraktive, politisch aber bedeutungslose Posten zu neutralisieren oder verdienten Genossen ein finanziell gutes Auskommen zu bieten.

Parallel dazu wuchs die Unzufriedenheit mit den großen staatlichen Monopolisten Bahn und Post. Die Bundesbahn verlor beständig Marktanteile an das Auto, während sich die Post mehr als obrigkeitsstaatlicher Herrscher über die Telekommunikation gerierte denn als Dienstleister, der dem Staat und damit allen Bürgern gehörte. Ein Telefon durfte man nicht besitzen, man musste es von der Post mieten; Gebühren für Ferngespräche waren horrend teuer. Die Anhänger der Privatisierungsideologie hatten daher leichtes Spiel, weil sie mit Verweis auf die ineffektive Staatsbahn, muffige Postämter und träge Stadtwerke eine verheißungsvolle Zukunft privater, effizienter und kundenfreundlicher Dienstleistungsunternehmen zeichnen konnten. Dass Menschen individuelle Wünsche haben und am Schalter gerne zuvorkommend behandelt werden, wussten sie geschickt für sich zu nutzen. Nicht jeder zufriedene Käufer ist gleich ein verblendeter Warenkonsument, wie es die Neo-Marxisten auch in der SPD damals glaubten.

Was will die Partei?

Bevor nun ein stärkerer Staat und mehr öffentliche Unternehmen installiert werden, sollte die Frage erstens nach dem Zweck und zweitens nach der richtigen Methode geklärt werden. Ein Zweck kann sein, möglichst günstige und verlässliche Dienstleistungen und Güter wie die Versorgung mit Wasser oder Wohnungen anzubieten. Ein weiterer wäre, über den öffentlichen Sektor Beschäftigungspolitik zu betreiben und mehr Arbeitsplätze als betriebswirtschaftlich nötig anzubieten. Und ein dritter hieße, staatseigene Unternehmen möglichst profitabel aufzustellen, um hohe Erlöse zu erzielen, die dem öffentlichen Haushalt zugute kommen. Alle drei Ziele kann man aber nicht gleichzeitig erreichen.

Ein übergeordnetes, wertegeleitetes Argument schließlich wäre, dass ein Gut wie Strom und Wasser, das alle benötigen, nicht Objekt von privaten Gewinninteressen sein darf. Merkwürdigerweise wird dieses Argument von der SPD kaum verwandt. Wir wollen rekommunalisieren, weil die Zeit der Privatisierung vorbei ist, lautet die gängige, recht dürftige Begründung.

Nur für den Schwenk in der Wohnungsbaupolitik wird ein schlüssiger Grund geliefert: Wohnungen werden knapp, also soll die öffentliche Hand wieder mehr bauen. Was die Wohnungsbaupolitik angeht, hat die SPD zweifellos aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Niemand will mehr zum subventionierten sozialen Wohnungsbau zurück und Großsiedlungen wie die Berliner Gropiusstadt oder Hamburg-Mümmelmannsberg bauen. Aber in Zeiten, in denen wieder viel öffentliches Geld investiert werden soll, müsste die Frage geklärt sein, wie von den Ergebnissen wirklich diejenigen profitieren, die auf günstige Mieten angewiesen sind – und wie gewährleistet ist, dass sie an den Planungsprozessen beteiligt und nicht nur Objekt staatlicher Lenkung sein werden.

Korruption droht

Wir wollen rekommunalisieren, weil die Zeit der Privatisierung vorbei ist, lautet die recht dürftige Begründung der SPD

Wo viel öffentliches Geld verteilt wird, tritt zwangsläufig die Gefahr auf, dass es in falsche Kanäle gerät. Der Bausektor gehört traditionell zu den Branchen mit der höchsten Neigung zu Korruption und Kostenmanipulationen. Damit ist die Frage nach demokratischer Kontrolle verbunden, die sich nicht nur in Bezug auf Bauprojekte stellt. Bislang ist sie bei öffentlichen Unternehmen und staatlichen Großinvestitionen zwar formal, aber nicht real gewährleistet. In aller Regel dominieren Kommunalpolitiker die Aufsichtsräte, was allzu oft zu oligarchischen Strukturen, mangelnder Transparenz und Kungelei führt. Wie eine tatsächliche demokratische Kontrolle durchgesetzt werden kann, ohne die Macht der wenigen vor Ort lediglich zu reproduzieren, ist eine offene Frage. Wenn die Öffentlichkeit davon überzeugt wäre, dass in künftigen Aufsichtsräten nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern etwa frei gewählte Bürger säßen, wäre ihre Zustimmung für Rekommunalisierungspläne und öffentliche Großprojekte möglicherweise größer.

Die historische Gelegenheit, öffentliche Güter und Dienstleistungen privaten Shareholdern und Investoren wieder zu entwinden, sollte nicht verspielt werden. Die SPD könnte mit ihrem Erfahrungshintergrund ihren Beitrag dazu leisten – wenn sie will.

GUNNAR HINCK