„Zu spät gehandelt“

Obwohl klar war, dass das Virus auch Deutschland erreicht, ist man nun nicht vorbereitet

VON STEPHAN KOSCH

„Tornados“ im Vogelgrippe-Einsatz: Sie fliegen über Rügen auf der Suche nach toten Vögeln. Um die Kadaver auch einzusammeln, schickt die Bundeswehr 250 Soldaten auf die Ostseeinsel. ABC-Trupps der Armee desinfizieren, was die Spritzen hergeben, damit das Virus nicht nach Süden vordringt. Auf den Fall, dass es ihm dennoch gelingt, bereitet sich unter anderem Nordrhein-Westfalen vor. Zurzeit wird im Kreis Kleve eine mobile Tötungsanlage gewartet. Bis zu 10.000 Tiere pro Stunde kann die Maschine durch Kohlendioxid betäuben und dann töten. Auf Rügen wurden bis gestern Nachmittag knapp zweieinhalbtausend Vögel gekeult.

Deutschland im Ausnahmezustand? Zumindest haben nach der Insel Rügen gestern auch die Landkreise Ostvorpommern und Nordvorpommern Katastrophenalarm ausgelöst. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Bundeswehr auch dort im Kampf gegen die Vogelgrippe eingesetzt werden kann. Und das scheint notwendig zu sein, zumindest nach den Erfahrungen, die man auf Rügen mit den Behörden vor Ort gemacht hat. Dort gab es nicht nur zu wenige Schutzanzüge. Auch die Zahl der Helfer reichte nicht aus, um die Tierkadaver einzusammeln.

Dabei musste doch spätestens seit Dezember allen klar sein, dass das auch für Menschen gefährliche Vogelgrippe-Virus H5N1 irgendwann in Deutschland landet. Trotz aller Arbeitsgruppen und Katastrophenübungen – beim ersten Ernstfall waren die Behörden überfordert. „Ich habe den Eindruck, dass die Menschen sich vorher nur abstrakt damit beschäftigt haben“, sagte Peter Friedrich, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Gesundheitsausschuss der taz. Das Problem sei, dass der Bund zwar Berichte aus den Ländern erhält. Bei der Frage, wie die Pläne vor Ort umgesetzt werden, fehle es aber an Transparenz. Keine Entschuldigung für die Bundesregierung, meint die Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne). Verbraucherminister Seehofer habe bei der Koordination mit den Ländern vieles versäumt. In einer solchen Krise müsse der Bund den Ton angeben. „Es ist viel zu spät gehandelt worden“, betonte die Grüne im „ARD-Morgenmagazin“.

So sieht das auch Kirsten Tackmann, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion – und Tierärztin. Zwar liege die Fachaufsicht bei den Ländern, der Bund müsse aber kontrollieren. „Die Behörden vor Ort hätten besser vorbereitet werden sollen“, sagte Tackmann der taz. Seit Dezember sei das Virus in Europa – es blieb genug Zeit, um in den Schubladen aller zuständigen Beamten und Politiker die entsprechenden Pläne zu deponieren.

Und um wichtige Fragen zu klären. Wie zum Beispiel die, ob eine Impfung von Nutz- und Haustieren sinnvoll ist. Höhn hatte vorgeschlagen, Geflügel aus Hobby- und Zoohaltung gegen die Vogelgrippe zu impfen. Dies habe sich bei früheren Ausbrüchen der Vogelgrippe bewährt. Frankreich und die Niederlande wollen in einzelnen Regionen die Geflügelbestände gegen die Vogelgrippe impfen. Doch in Deutschland sind die Experten skeptisch, wenn es um Hühner oder Gänse in Geflügelfarmen geht. Nach einer Impfung könnten erkrankte und geimpfte Tiere nicht mehr unterschieden werden, weil beide Antikörper gegen das Virus ausbilden, sagte der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts, Thomas Mettenleiter. An einem Impfstoff mit einem entsprechendem Marker wird dort derzeit gearbeitet, er wird aber erst in zwei Jahren vorliegen.

Und auch die Geflügelzüchter dürften von einer Impfung nicht begeistert sein. Denn Frischfleisch von geimpften Tieren muss gekennzeichnet werden, der Export ist verboten. Zugleich ist fraglich, ob eine Impfung wirklich das Wandern des Vogelgrippevirus verhindert. Denn die jetzt vorhandenen Impfstoffe können dazu führen, dass ein Tier das Virus in sich trägt und weiterverbreitet, ohne dass es selbst erkrankt. Und nicht nur deshalb rechnen Experten damit, dass das Virus in Kürze Brandenburg erreichen wird.