Härtefall Niedersachsen

Innenminister Schünemann (CDU) setzt zum Entsetzen von Flüchtlingsinitiativen alles daran, Zuwanderer aus seinem Bundesland zu vertreiben. Die CDU/FDP-Abgeordneten spielen mit, anstatt sich wenigstens für Einzelfälle einzusetzen

Seine Döner-Bude im südniedersächsischen Northeim muss Sami Meri wohl bald dichtmachen. Dem staatenlosen Kurden, der 1985 als Jugendlicher wegen des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland floh, und seinen sechs Kindern droht die Abschiebung in die Türkei, Ehefrau Nova Meri soll in den Libanon ausreisen. Die Behörden werfen Meri vor, er habe damals bei der Einreise seine Identität als Türke verschleiert. Nachdem seine Asylanträge abgelehnt wurden, ist Meris letzte Hoffnung der Petitionsausschuss des niedersächsischen Landtags.

In anderen Bundesländern würde sein Fall von einer Härtefallkommission verhandelt werden – mit guten Aussichten, da seine Familie seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, für ihren Unterhalt selbst aufkommt und als sehr gut integriert gilt. Das deutsche Zuwanderungsgesetz sieht vor, dass solche Kommissionen zumindest für einige schon lange hier lebende Flüchtlinge ein Bleiberecht erwirken können. Missverständliche Formulierungen im Gesetzestext lassen jedoch unterschiedliche Interpretationen und eine restriktive Rechtsauslegung durch die Innenminister einiger Bundesländer zu.

So hat sich Niedersachsens CDU/FDP-Landesregierung dagegen entschieden, überhaupt eine Härtefallkommission einzurichten. Stattdessen kann der Petitionsausschuss des Landtags in Einzelfällen Empfehlungen für ein Bleiberecht aussprechen – bindend für das Innenministerium ist sein Votum aber nicht. Der Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisiert, dass das Innenministerium im vergangenen Jahr nur in einem einzigen Fall nach Empfehlung des Petitionsausschusses auf Grund besonderer Härte ein Aufenthaltsrecht ausgesprochen hat.

Eine Arbeitsgruppe, in der auch Wohlfahrtsverbände und Kirchen sitzen, soll den Petitionsausschuss beraten. Sie hat praktisch aber keinen Einfluss. „Trotz der positiven Voten des Beratungsgremiums werden von der schwarz-gelben Mehrheit in Niedersachsen keine Härtefälle anerkannt“, klagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Filiz Polat. CDU und FDP benutzten die Berater als „Alibi-Gremium“.

Überhaupt legt kein anderes Bundesland das Zuwanderungsgesetz so streng aus wie Niedersachsen. Bei der jüngsten Innenministerkonferenz verhinderte Uwe Schünemann (CDU) im Verein mit Bayerns Günter Beckstein (CSU) eine generelle Bleiberechtslösung für langjährig geduldete Flüchtlinge. Stattdessen, kritisiert Kai Weber vom Flüchtlingsrat, setzte die Regierung in Hannover das umstrittene Prinzip der Kettenduldungen fort. „Die Betroffenen stehen hier immer mit einem Bein im Flugzeug.“ In Niedersachsen leben derzeit rund 22.000 Flüchtlinge mit einer Duldung, die immer wieder verlängert wird, weit mehr als die Hälfte schon seit mindestens acht Jahren.

Überfallartige Abschiebungen im Morgengrauen sind seit Schünemanns Amtsantritt ebenfalls wieder möglich. Der Minister kassierte einen Erlass seines Vorgängers Heiner Bartling (SPD), dem zufolge Abschiebungen vorher angekündigt werden mussten. Nach Informationen von Flüchtlingsberatern übt das Innenministerium zudem auf die Ausländerbehörden Druck aus, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. Unbeliebt machte sich Schünemann jüngst mit seinem Vorschlag, Kindern geduldeter Flüchtlinge ein Bleiberecht einzuräumen, die Eltern aber auszuweisen.

Die frühere Justizministerin Heidi Merk (SPD) wirft der Regierungskoalition vor, mit „Eiseskälte“ sogar eine „zwangsverheiratete Frau und ihre traumatisierten Kinder in die Hände des gewalttätigen Ehemannes zu treiben“. Der Petitionsausschuss hatte vergangene Woche ein Gesuch der Syrerin Salima K. aus Westerstede abgelehnt. Die Frau lebt seit 1992 in Deutschland, sechs ihrer acht Kinder wurden hier geboren. Merk zufolge wurde die Syrerin im Alter von 15 Jahren an einen Landsmann verheiratet, der vor eineinhalb Jahren wegen sexueller Nötigung und Körperverletzung rechtskräftig verurteilt und in sein Herkunftsland abgeschoben worden war.

Reimar Paul