FREUNDLICHE EXPATS UND SCHICKE KLAMOTTEN, ROCKABILLY-NACHHILFE FÜR EINE PERFEKTE WELT UND DIE GROSSE ALTE FRAU DER HÄKELKUNST
: Irritierende Schulterpolsterdichte

VON JENNI ZYLKA

Vampire wie ich hadern etwas mit der momentanen Wetterlage, aber man kann schließlich nicht das gesamte Wochenende zu Hause bleiben und in der abgedunkelten Wohnung „Lego Star Wars“-Reviews im Internet gucken, darum raus, Schwestern, zur Sonne.

Der Samstag ließ sich vielversprechend an mit einem Indoor-Vintage-Flohmarkt im Heimathafen Neukölln, kreischendes Polyester, so weit das Auge reichte, und allerschönste Matrosenliebchenbekleidung, wobei mir gleich Lotte Lenya mit ihrer alten „Happy End“-Frage einfiel: „Ich fragte nach Deiner Stellung / Du sagtest so wahr ich hier steh’ / Du hättest zu tun mit der Eisenbahn / und nichts zu tun mit der See.“ Dabei wundere ich mich seit jeher, dass diese Lilian in dem Lied von Brecht und Weill die Info, dass der Surabaya-Johnny mit dem Schiff „von Birma herauf“ kam, nicht einfach ein bisschen in ihrem kleinen hübschen Köpfchen hin und her bewegte: wie kommt denn ein Eisenbahner von Birma herauf?!

Bei jenem Vintage-Markt, der „Toast & Jam“ hieß (obwohl ich „Rippchen & Kraut“ als „Bread & Butter“-Verhohnepiepelung vorgezogen hätte, allein schon wegen der passenden Modelassoziationen), saßen jedenfalls freundliche Expats vor ihren schicken Klamotten, den größten Hits der 60er, 70er, 80er, 90er und nuller Jahre – und es mag albern klingen, aber obwohl das Angebot einwandfrei war (Emilio-Pucci-Seidenbluse aus den 60ern!), die Schulterpolsterdichte irritierte ein wenig: Zu meiner Zeit war Vintage strikt 50er und 60er, nicht dieses beknackte Pailletten-Aufdruck-Fledermausärmelzeug von Kim Wilde, und jetzt hört Oma auch schon auf, vom Krieg zu erzählen.

Oma erzählt dafür lieber weiter vom Abend. Tex Morton, der meistbeschäftigte Fingerpicking-Gigant seit Chet Atkins, stellte seine neue Band Hot Trigger im Bassy vor, drei junge Tätowierte mit Tollen, die ein bisschen klangen, als ob sie mit ihrem Rock-’n’-Roll/Rockabilly-Nachhilfelehrer aufträten. Aber das ist ja eigentlich eine hübsche Vorstellung: Nee, mittwochs kann ich nicht, da hab ich Rockabilly-Nachhilfe. Samstag geht, da hab ich zwar morgens die Blues-Prüfung, aber ich darf ja die Muddy-Waters-Matrix benutzen …

Hach, in einer perfekten Welt wäre das so.

Sonntag kroch ich so spät es ging aus dem Sarg, weil ich, wie bereits irgendwo oben erwähnt, nicht so der Wüstentyp bin, und schlängelte mich erfolgreich unterirdisch durch mehrere U-Bahnhöfe zum Wochenendmarkt gegenüber, um bei Christa Lustig, der großen alten Frau der Häkelkunst, zwei Sommermützchen zu erstehen, mit denen man zur Not beim Campen auch heiße Topfdeckel anfassen kann.

Die Häkelkaiserin und ich kamen ins Reden, denn sie ist eine nette Person mit einem Riesensack voll interessanter Vergangenheit – 1974 häkelte sie Menüs für vier Personen, inklusive gehäkelten Tellern mit gehäkelten Spaghetti, gehäkeltem Spiegelei und gehäkeltem Speck, 1981 häkelte sie einen kleinen Panzer aus Silberdraht, und das aufdringliche Wortspiel, dass Luftmaschen nicht satt machen, wollte ich zwar nicht bringen, doch Frau Lustig berichtete freiwillig ein wenig von den Schwierigkeiten, aus originärer Kunst entstandenes Kunsthandwerk, das mit Wolle zu tun hat, bei 28 Grad zu verkaufen.

Als ich, mit den Bildern der Häkelspaghetti im Kopf, dann im Internet auch noch auf die Gebrauchsanweisung zum Kraken-Selberbauen gestoßen wurde (man nehme: ein paar lebendige Regenwürmer, einige Tropfen Sekundenkleber und „das gelbe Plastikteil von einem Ü-Ei“), beschloss ich, den Rest des heißen Wochenendes mit Heimwerkeln zu verbringen. Für den Anfang versuche ich es mit einem selbst gestrickten Winter-Stringtanga.