strafplanet erde: von meppen bis ultimo von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Feinschliff und Farbabstimmung für den Roman „Chamäleons im Spiegelkabinett“ standen auf der To-do-Liste. In der Warteschleife hatte das Manuskript gemächlich Runden gedreht, die Akteure waren nur mehr schattige, schwache Erinnerung. Eine der Figuren hatte in der Zwischenzeit das große Wort geschwungen und stellte Ansprüche. Ich wurde echt sauer und degradierte Konrad umgehend zum Statisten. Oder gleich rausschmeißen? Mit Konrad war sowieso nicht viel anzufangen. Der klebte im Zweidimensionalen fest, der lehnte es ab, in die Ferne zu schweifen. Dabei war es ein Reiseroman.

Als Bassist in einer leidlich bekannten Punk-, dann New-Wave-Band war er in jungen Jahren häufig auf Tour gewesen, Konzerte hier und da, Absteigen da und hier. Damit war irgendwann Schluss. Als notorischer Verweigerer stand Konrad im Manuskript allein auf weit ausgebauter Flur, deren Radius von hier über Meppen bis Ultimo reicht. Nicht mal Urlaub wollte er machen. Zwei oder drei Freundinnen hatten ihn wegen seiner Abstinenz verlassen. Sommerfrische oder Segeltörn, Pistenspaß oder Städtetour, Fernost oder Nordseeinsel, Konrad beharrte auf dem Ich-möchte-lieber-nicht. Und das Mittelmeer kam ohnehin nicht in Frage. Am Strand liegend, sagte er, würde er sich die Seelenverkäufer jenseits des Horizonts vorstellen, die arme Hunde in die Festung Europa schleusen. Und täglich gehe mindestens einer über Bord.

Er habe schon vor der Abreise Heimweh. Ein grässliches Wort, aber das sei nicht zu ändern oder auszutauschen. Kann man nichts machen. Als Abschiedsgeschenk überreichte ich ihm „Heimweh“, ein Buch von Martin Mlecko, eine „konzeptuelle Fotoarbeit“. Grässlicher Begriff, aber ein klasse Buch mit 400 Urlaubskarten, deren Texte destilliert sind. Konrad war begeistert und klaubte das Passende raus: „Eigentlich geht so ein Urlaub immer schnell vorbei. Ich habe durch Zufall einen Weg gefunden, wie er richtig lang wird: Wenn schnell das Geld alle ist.“ Auch der gefiel ihm ausgesprochen gut: „Ich will nach Hause! Es regnet, das Essen ist grausam, man kann nur Kette rauchen. Jedenfalls vermisse ich dich total. Muss gleich zum Strand.“ Für manche Exzerpte, bemerkte Konrad überschallgeschwind, brauche man nicht mal das dazugehörige Bild, in zwei Sätzen erschließe sich das Fegefeuer: „Hier ist es echt ganz lustig! Wir haben Liegestuhl Nr. 529.“ Der Effekt, den ich für meine Gegenfigur erhofft hatte, Teufelsaustreibung durch Beelzebub, blieb aus. Statt angespornt, mit Rilke’scher Emphase sofort zu buchen – „Du musst dein Leben ändern“ – und damit seine Anwesenheit in „Chamäleons im Spiegelkabinett“ zu sichern, legte Konrad den Band nicht mehr aus der Hand. Gelächter erregten die Notate „Du weißt noch gar nichts von deinem Glück, ich bin einfach abgehauen“ und „Bei Regen sieht man ja nichts, worüber man schreiben soll. Worüber soll ich nun schreiben?“.

Ich gab auf und löschte die Passagen, in denen er eine Rolle spielte. Er schickte mir etwas später eine Ansichtskarte mit einem populären südkalifornischen Sprichwort: „Nur weil alles anders ist, heißt das noch lange nicht, dass sich irgendwas geändert hat.“ Das habe ich dann bei der letzten Korrektur eingefügt.