Ganz nah dran

Österreich hat ein Problem damit, dass die Skination offensichtlich nicht nur Helden gebiert

WIEN taz ■ In wenigen Ländern werden Sportereignisse so distanzlos parteiisch kommentiert wie in Österreich. Kommentatoren und pensionierte Ski-Asse wie Armin Assinger, Hansi Hinterseer oder Thomas Sykora zittern im ORF im Doppelpack mit den Hoffnungsträgern, die von Sieg zu Sieg eilen oder manchmal auch einfach nur Pech haben. Dass die Ski-Idole, deren Berufung das Medaillensammeln ist, in den Verdacht kommen, unerlaubte Substanzen zu nehmen, ist unerhört und nicht vorgesehen. Der Alpine Hans Knauß, der letztes Jahr einen positiven Test ablieferte und daraufhin für zwei Jahre gesperrt wurde, gilt als Opfer eines verunreinigten Nahrungsergänzungsmittels und wurde vom ORF mit einem Kommentatorenvertrag getröstet. Anders als er dürften aber die Nordischen, die Spritzen aus dem Fenster warfen, gewusst haben, was sie zu sich nahmen.

Das Image der sauberen Naturburschen, das vom ORF gepflegt und genährt wird, ist nun stark bedroht. Deswegen stellten die Sportreporter anfangs auch den rüden Charakter der Dopingkontrollen und das Unerhörte des Verdachts in den Vordergrund, bevor sie sich mit einigen unleugbaren Fakten und Ungereimtheiten in der Argumentation der Betreuer befassten. Österreichs Innenministerin Liese Prokop ist offenbar noch nicht so weit. Sie hat vor dem Hintergrund des Skandals eine „Wildwestmanier“ bei Doping-Kontrollen beklagt.

Anders Kanzler Wolfgang Schüssel, der eigentlich nach Turin geeilt war, um Michaela Dorfmeister siegen zu sehen und sich im ORF-Olympiastudio den Sportsfreunden rechtzeitig vor den nächsten Wahlen in Erinnerung zu rufen. Statt Medaillengewinner zu herzen, musste er die Dopingaffäre kommentieren: „Wer dopt, fliegt“, sagte er. Nach dieser Devise handelte denn auch ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel, der Mayer anfangs vehement verteidigt hatte, aber nach dessen Crash fristlos vor die Tür setzte. Warum der umstrittene Betreuer immer noch für das nordische Team unter Vertrag stand, klärte Schröcksnadel nicht auf.

Österreichs Kommentatoren, die am Montag drei Gold- und zwei Bronzemedaillen zu feiern hatten, wären fraglos in einen wahren Patriotismustaumel gefallen, wenn die Dopingaffäre nicht für einen empfindlichen Dämpfer gesorgt hätte.

RALF LEONHARD