„Ein Outsourcen von Drecksarbeit“

PRESSE Die beiden „Stern“-Chefredakteure Andreas Petzold und Thomas Osterkorn sprechen darüber, warum Medien Detektive auf Politiker ansetzen und was dies für den Zustand des Journalismus bedeutet

■ 54, ist seit 1999 Chefredakteur des Sterns. Zuvor besuchte er die DJS in München und war unter anderem stellvertretender Chefredakteur von Quick und Superillu sowie Chefredakteur der Hörzu.

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Osterkorn, Herr Petzold, nach Ihrer Enthüllung, dass die Bunte das Privatleben von Spitzenpolitikern durch die zweifelhafte Bildagentur CMK systematisch ausspähen ließ, hat Burda rechtliche Schritte gegen den Stern angekündigt. Wie ist der Stand Ihrer juristischen Auseinandersetzung?

Andreas Petzold: Es gibt keine juristische Auseinandersetzung. Uns ist eine Verleumdungsklage und eine Unterlassungsklage angedroht worden: Weder das eine noch das andere ist – Stand heute – hier eingetroffen. Was auch immer noch kommen mag: Wir sehen dem sehr gelassen entgegen.

Thomas Osterkorn: Weil es um einen Wettbewerber geht …

Petzold: … Was heißt hier Wettbewerber?

Osterkorn: Als Verlag ist Burda sicherlich ein Wettbewerber. Deswegen haben wir die Recherche in diesem Fall besonders ernst genommen, uns nicht auf die Aussagen der Informanten verlassen, sondern alle Informationen vier- oder fünffach gecheckt und dann natürlich sowohl den CMK-Chef Stefan Kießling als auch die Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel mit unseren Rechercheergebnissen konfrontiert.

Burda-Verlagsvorstand Philipp Welte spricht vom „dümmlichen Versuch, durch lautes Blöken vom journalistischen Niedergang des Stern s abzulenken“.

Petzold: Immer wieder versucht der Burda-Verlag, die Bunte als Wettbewerber des Sterns zu positionieren, nur weil beide am Donnerstag erscheinen. Die Bunte konkurriert mit People-Magazinen wie Gala oder InTouch, aber nicht mit dem Stern. Das hätte der Burda-Verlag gerne und deswegen treibt er die Diskussion in diese Richtung. Ein durchsichtiger Versuch …

Können Sie noch mal klar sagen, was sie unterscheidet?

Petzold: Ja, der Stern ist ein wöchentlich erscheinendes aktuelles Wochenmagazin. Man kann auch gern sagen: Illustrierte – ich hab überhaupt nichts gegen dieses Wort. Aber die Inhalte von Stern und Bunte sind grundverschieden. Wir konkurrieren mit Focus und Spiegel – auch mit solchen Enthüllungsgeschichten.

Wie passt das Bild einer nackten Frau auf dem aktuellen Titel zu diesem Anspruch?

Petzold: Henri Nannen hat immer gesagt: „Man muss die Kirche erst voll machen und dann predigen.“ Und genau das machen wir. Wenn Sie sich die Inhalte der aktuellen Ausgabe anschauen, ist dem nichts hinzuzufügen. Die fängt an mit einer aktuellen Reportage aus Griechenland, die das bekannte Problem mit einer guten Recherche, einer exzellent geschriebenen Geschichte aufgreift …

die sich aber in einem kleinen Textankündiger auf dem Titel wiederfindet.

Petzold: Wo ist das Problem? Es geht doch um die Inhalte im Heft.

Aber es muss doch die Frage erlaubt sein, wie Sie diese vorne präsentieren.

Osterkorn: Wir versuchen mit einem durchaus erotischen Bild, das wollen wir gar nicht in Abrede stellen, Interesse zu wecken für ein schwieriges Thema: Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsdiagnostik. Was bitte will man da sonst zeigen? Eine Darmspiegelung? Ein Titelbild ist ja immer auch ein Werbeplakat für uns.

Auch der Stern hat, wie Sie zugegeben haben, „ein paar hundert Euro“ für Fotos von der Agentur CMK ausgegeben. Wirklich nur ein paar hundert?

Petzold: Ja, mal waren es 35 Euro für ein Bild, mal 235 Euro. Wir haben das alles genau nachgeprüft.

Wie viele Fotos von CMK haben Sie gedruckt?

Petzold: Einige Dutzend in den letzten sechs, sieben Jahren.

Also sprechen wir eher von ein paar tausend Euro.

Osterkorn: Insgesamt vielleicht, aber nicht pro Foto. Und schon gar nicht haben wir an die CMK einen Tagessatz von 1.000 Euro bezahlt oder 240.000 Euro insgesamt im Jahr 2008 wie die Bunte laut uns vorliegenden Unterlagen.

Hat der Stern für Informanten aus dem CMK-Umfeld bezahlt?

Osterkorn: Dazu sagen wir grundsätzlich nichts.

Warum nicht?

Petzold: Grundsätzlich nicht. Das gehört für uns zum Informantenschutz. Wichtig ist doch, ob das, was ein Informant erzählt, stimmt oder nicht. Die beiden Informanten des Sterns sind auch nicht rumgelaufen und haben versucht, ihre Informationen zu verkaufen, sondern wir sind bei unseren Recherchen auf sie gestoßen.

Osterkorn: Losgelöst von Ihrer Frage halte ich eine Aufwandsentschädigung prinzipiell für legitim. Wenn Sie vor Gericht aussagen müssen, kriegen Sie auch Zeugengeld. Disqualifiziert Sie das etwa? Ohne das zu bestätigen oder zu dementieren, wehre ich mich gegen die Unterstellung, dass, wer für seinen Aufwand Geld bekommt, nicht die Wahrheit sagt.

Können Sie erklären, warum Sie das CMK-Bild von Seehofers unehelicher Tochter und deren Mutter gedruckt haben?

Osterkorn: Nachdem Seehofers damalige Geliebte Anette Fröhlich in einem Interview mit der Bunten von sich aus …

Petzold: … „von sich aus“, das lassen wir mal dahingestellt …

Osterkorn: … Auf jeden Fall hat sie ihre Privatheit in diesem Interview selbst öffentlich gemacht, und dann hat der Stern, wie viele andere, eine Geschichte darüber geschrieben und dazu dieses Foto gedruckt. Wir haben sie nicht verfolgt, nicht beschattet – ein großer Unterschied.

Können Sie mit Patricia Riekels Unterscheidung zwischen berichterstattungsrelevanter Privat- und zu schützender Intimsphäre etwas anfangen?

Petzold: Nein. Privat- und Intimsphäre zu unterscheiden, ist ein Hilfsargument. Frau Riekel hat ja in ihrer Reaktion auf den Brief von Renate Künast auch gesagt: Man muss darüber berichten, wenn das öffentlichen Diskussionsstoff liefert. Aber wer liefert denn den öffentlichen Diskussionsstoff? Das sind die Medien. Und die liefern ihn nur dann, wenn sie das vorher recherchiert haben.

Osterkorn: Aber zum Thema Abwägung zwischen Privatheit und öffentlichem Interesse fehlt im Pressekodex eine Präzisierung. Das wäre in der Tat eine Überlegung wert. Bislang musste sich die Präzisierung aus der Spruchpraxis des Beschwerdeausschusses des Presserats ergeben und aus diversen Urteilen. Das stellt übrigens auch der Medienrechtler Christian Schertz fest.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Privatheit und öffentlichem Interesse?

Petzold: Für uns gilt generell das, was Renate Künast in ihrem Brief an Hubert Burda treffend formuliert: „Privat ist, was beruflich keine Relevanz besitzt.“ Es muss ein besonderes öffentliches Interesse an bestimmten Vorgängen geben, sonst sind verdeckte Ermittlungen laut Ziffer 4 des Pressekodex nicht erlaubt. Und ich frage mich, ob es von öffentlichem Interesse ist, wenn Franz Müntefering eine Freundin hat, die er später heiratet, nur weil sie 40 Jahre jünger ist als er.

■ Gemeinsam mit Petzold leitet der 56-Jährige seit 1999 den Stern. Der Jurist war Polizeireporter beim Hamburger Abendblatt, bevor er 1986 zum Stern wechselte.

Osterkorn: Mir müsste auch noch mal jemand erklären, ab welchem Altersunterschied das angeblich relevant wird: ab 35 Jahre jünger? Oder schon ab 12?

Zeigt die Bunte -Affäre, dass der People-Journalismus verroht?

Osterkorn: Ja, das Gefühl haben wir schon. Problematisch ist vor allem das Outsourcen von Drecksarbeit. Damit ist die Bunte nicht allein, dafür hat diese Methode viel zu viele Vorteile. So kann ich den Prominenten der Bespitzelung nämlich anrufen und sagen: Uns sind da Bilder angeboten worden. Natürlich drucken wir diesen Schweinkram nicht – aber könnten wir vielleicht mal ein Interview mit Ihnen haben?

Outsourcing wird immer üblicher, weil freie Mitarbeiter billiger sind als Festangestellte.

Osterkorn: Es gibt hervorragende freie Journalisten, deren sich alle Blätter bedienen, auch der Stern, wenn auch in sehr geringem Maße …

Petzold: … aber der Presseausweis eines freien Mitarbeiters ist noch kein Qualitätsausweis. Und das Kostenargument kann doch solche Methoden, ob angedacht oder durchgeführt, nicht rechtfertigen. Der Maßstab muss sein, dass ich als Redaktion über jeden Schritt eines Rechercheurs informiert bin und genau weiß: Was wird da wie recherchiert? Und das kann ich eben nur gewährleisten, wenn ich besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter mit der Aufgabe betraue. Und die sollten schon Mitglied der Redaktion sein, denn sonst kann ich das nicht steuern und führen.

Osterkorn: Der Artikel 5 des Grundgesetzes bedeutet auch, dass der Staat den Zugang zum Journalismus nicht reglementieren darf, was ja auch völlig in Ordnung ist. Die Kehrseite davon ist allerdings, dass jeder, also auch ein Detektiv oder ehemaliger Stasispitzel, beschließen kann: Ich bin jetzt Journalist. Und dann ist er es auch. Nun könnten natürlich die Journalistenverbände etwas sorgfältiger damit umgehen, wem man einen Ausweis gibt und wem nicht. Da aber die Verbände möglichst viele Mitglieder haben wollen, um möglichst mächtig zu sein, haben sie daran kein großes Interesse. Wir Journalisten sollten mal drüber nachdenken, ob es nicht ein Akt der Selbstreinigung wäre, wenn wir die Kriterien, wer eigentlich Journalist ist, ein bisschen enger definieren würden.

Was müsste für Sie erfüllt sein, damit jemand einen Presseausweis verdient hat?

Petzold: Der müsste erst mal eine solide journalistische Ausbildung nachweisen, die zumindest gewährleistet, dass er sein Handwerk beherrscht. Ganz einfach. Denn sonst wird jeder, der behauptet, ich kann schreiben und ich greife zum Äußersten, nämlich zum Telefonhörer, damit schon zum Journalisten.

Osterkorn: Das sehe ich ein bisschen anders. Journalismus ist auch ein Begabungsberuf. Was man allerdings von Leuten verlangen kann, die sich als Journalisten bezeichnen, ist, dass sie die Grundsätze unseres Berufes kennen und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wenn du eine Kneipe aufmachst, musst du ja auch kein staatlich geprüfter Koch sein. Aber du musst wenigstens mal einen Kurs gemacht haben.

Petzold: Aber du musst Koch sein!

Osterkorn: Nein, musst du nicht.

Petzold: Ist ja verheerend, das wusste ich nicht.