„Jetzt bin ich locker“

Jugend tanzt: Zum Beispiel in „What are you waiting for?“, einem Projekt der steptext-Company

Mariéle schließt die Augen, lehnt sich an Timur. Sanfter Kinnstupser. Umeinandergleiten, sich fallen lassen und gegenseitig halten. Führen und geführt werden. Im Hintergrund kuschelt eine Tänzerin selbstversunken in autoerotischer Trance. Während Magdalena ihrem Partner herausfordernd in die Augen schaut. Er bestruwwelt ihr Haare. Schlawinernde Berührungen und freudig erkundendes Anfassen entfalten sich zu Balz-Gesten, die wiederum zu geschmeidigen Bewegungslinien entwickelt werden. Derweil ein riesiger Junge von der kleinen Partnerin immer wieder elegant zu Boden gedrückt, das Machtverhältnis umgekehrt wird.

Träume, Fantasien, Gefühle, Empfindungen, Charakterfacetten in sich entdecken – und schauen, was sie mit dem Körper anstellen. „Das Faszinierende am Tanz“, erklärt Mariéle Müller (16), „ist die Suche nach Bewegungen, die sich echt anfühlen, wenn man etwas ausdrücken möchte“. Die Zartheit der beschriebenen Kontakte, die Intimität dieser Situationen ist so auf dem Schulhof und Unicampus nicht zu beobachten, sehr wohl aber bei den 13 Jugendlichen des Steptext-Tanzworkshops bei Augusto Jaramillo Pineda.

Die 16- bis 23- Jährigen trainieren seit Mai vergangenen Jahres jeweils samstags und sonntags fünf Stunden lang und entwickeln das Tanztheaterstücks „What are you waiting for?“.

„Wir holen die Jugendlichen bei ihrem individuellen Bewegungsdrang ab – beim Sport, HipHop, Breakdance, in den Tanzschulen – und erproben, den Körper als Instrument zu nutzen.“ So beschreibt Steptext-Managerin Daniela Knöbl die Basisausbildung wider die Körpervergessenheit. Was da unter dem Kopf baumelt, transportiert einen zur Bushaltestelle, schickt auch Signale, um mal einen Orgasmus im Hirn explodieren zu lassen, wird aber sonst als Kleiderständer und Durchgangsstation für die Nahrung eher beiläufig wahrgenommen.

Jetzt stellt die Bundeskulturstiftung 12,5 Millionen Euro dem Tanz zur Verfügung. Ziel: Breitenwirkung. Eines der neun ausgewählten Projekte hat „TANZstadt: Bremen“ initiiert und bekommt dafür 650.000 Euro aus Berlin sowie die gleiche Summe vom Bremer Kultursenator.

Auch wenn der Förderschwerpunkt in der Vernetzung der norddeutschen Stadttanztheaterszene liegt, inklusive Künstleraustausch und Festival, soll es zu „tanzpädagogischen Arbeitsreihen an Schulen“ kommen.

Wie sinnvoll das sein kann, erklären die Steptext-Jugendlichen. „Kunst als Berufsperspektive“ und Körperlichkeit als kommunikative Qualität könne so erlebbar werden. Die Gruppenarbeit fördere Rücksichtnahme, Disziplin und das Zusammengehörigkeitsgefühl. „Das wichtigste aber ist, Vertrauen gewonnen, Scham verloren zu haben“, erzählt Mariéle. Miteinander zu improvisieren, sich jenseits des Alltagsrepertoires an Bewegungen, der Tanzschulen-Standards und Ballett-Formalismen zu erproben. Das funktioniere auch über soziale und kulturelle Unterschiede hinweg. „Und verändert einen“, behauptet Timur Burlaka. (17). „Früher war ich cool, zu steif, jetzt bin ich locker. Wenn jemand aus der Reihe tanzt, werde ich nicht mehr aggressiv, sondern gehe darauf ein.“ In der Disco könne er inzwischen mutiger aus sich herausgehen. Jugend tanzt – als Selbstmotivation, sich aus eigener Kraft die Welt zu eröffnen. Diesen Genuss erwachten Körperbewusstseins sieht man der Choreografie in jeder Sekunde an.

Jens Fischer

„What are you waiting for?“: heute und morgen um 16.30 und 20 Uhr in der Schwankhalle, am 25.2. nur 20 Uhr