Gefiederte Strafe

Apokalypse, mindestens: Die Bedeutung der Vogelgrippe für die deutsche Sprache und die deutsche Bevölkerung

Das Beste an der deutschen Sprache ist, dass man beliebige Wörter zu einem neuen zusammensetzten kann – fast immer einem besonders schönen: Sonnenschein, Tabellenführung, Kirschtorte – ich könnte endlos so weitermachen. Manche dieser Komposita sind schön eher im Sinne von praktisch: Kettensäge, Altglascontainer, Blitzkrieg. Eine dritte und letzte Gruppe zusammengesetzter Wörter bezeichnet vornehmlich alberne Fantasiebegriffe wie Tausendsassa, Wiefelspütz und Vogelgrippe.

„Vogelgrippe“ ist die wohl absurdeste Schöpfung überhaupt, zurzeit das Synonym schlechthin für ein krudes Armageddon völlig unbelegter Provenienz. Lässt man sich das Wort einmal auf der Zunge zergehen, sollte man meinen, es tauge allenfalls als Ammenmärchen für zurückgebliebene Kinder: „Wenn du den Hansi aus dem Käfig lässt, dann hackt er dich mit seinem Triefschnabel, und dann wirst du krank und stirbst.“

Oder für Hochleistungsgläubige – Reinheit im Geist und Leere auf der Festplatte: „Und die Menschen waren gottlos geworden: In ihren Zeitungen machten sie sich ein Abbild von dem Herrn und lachten frech darüber; sie putzten sich die Zähne mit Schnaps, fluchten lästerlich und hängten ihre nackten Ärsche aus dem Fenster. Und speziell auf Rügen taten sie nichts als betrügen. Das erzürnte den Herrn, und er entsandte seine gräulichen Kormorane, Buchfinken und Waldkäuzchen, und die Kormorane niesten die Menschen an, und die Buchfinken rotzten ihnen in den Kaffee, und die Waldkäuzchen husteten nachts ohrenbetäubend in den Gassen, und die Menschen starben entweder auf der Stelle oder sehr viel später an den Folgen von Fieber, Schlaflosigkeit und Nervenzusammenbruch. Harmlose Hühnerficker wurden zu Sendboten des Todes, und Heulen und Zähneknirschen hallte noch aus dem letzten Winkel des Planeten …“ Gnade!

Als kleiner Einschub an dieser Stelle zunächst mal ein paar Zahlen: Jedes Jahr sterben allein in Deutschland 42.000 Trinker am Alkohol, 40.000 Raucher an Lungenkrebs, 8.000 Menschen bei Verkehrsunfällen, und 11.000 Selbstmörder greifen dem Ganzen auch noch vor. Aber was ist das schon – jetzt kommt schließlich die Vogelgrippe!

Die Vogelgrippe – huhuhu, wir werden alle sterben! Wenn uns nicht doch noch in allerletzter Sekunde die Bundeswehrmacht – „wir werden ihre Nester ausradieren“ – raushaut, sind wir erledigt. Wie schon beim Rinderwahnsinn, da war die gesamte Weltbevölkerung im Grunde bereits klinisch tot. Wir haben bloß irrsinniges Glück gehabt, das wird garantiert kein zweites Mal passieren. Als Nächstes droht gewiss der böse, böse Schweineschnupfen – ojemine! Und der Krötenkatarrh – zur Hülf! Die Miezekatzenmalaria – auwei! Der Hundehusten – rette sich, wer kann! Das Hasenherpes! Die Pinguinpest! Die Ameisenangina! Der Möhrchenmumps! Das Erbsenekzem! Die Steinseuche! Der Holzwurm! Das Wasserlassen! Gnade, Gnade, Gnade – tot sein ist sehr schade!

ULI HANNEMANN