Anschlag auf schiitischen Schrein im Irak

Tausende protestieren im ganzen Land nach einem Sprengstoffattentat auf eine Moschee in Samarra. Die Tat erfolgt zu einem Zeitpunkt erhöhter Spannungen zwischen den religiösen und ethnischen Gruppen wegen der Bildung einer neuen Regierung

VON KARIM EL-GAWHARY

Es gibt kaum ein geeigneteres Ziel, um die religiösen und ethnischen Spannungen im Irak anzuheizen und das Land dem Bürgerkrieg einen Schritt näher zu bringen. Gestern, kurz nach Morgengrauen, griff eine unbekannte Zahl von als Polizisten verkleideten Tätern die schiitische Askarija-Moschee in Samarra, 100 Kilometer nördlich von Bagdad, an. Sie überwältigten die fünf Wächter, platzierten Sprengstoff und flohen. Bald darauf erschütterte eine schwere Explosion eines der berühmtesten Heiligtümer der Schiiten im Irak.

Die kurz darauf im Fernsehen ausgestrahlten Bilder von der zum Teil weggerissenen goldenen Kuppel des Schreines verfehlten ihre Wirkung nicht. Tausende schiitischer Demonstranten zogen in allen Teilen des Landes mit ihren religiösen Bannern und dem Koran in der Hand auf die Straße, um gegen die Zerstörung ihres Heiligtums zu protestieren. „Keine Gnade für die Täter“, forderten sie. Das wichtigste geistige Oberhaupt der Schiiten Großajatollah Ali al-Sistani rief ebenfalls zu landesweiten friedlichen Demonstrationen auf. Doch in Samarra gab die Polizei Warnschüsse ab, als die Proteste außer Kontrolle zu geraten drohten. Mindestens fünf sunnitische Moscheen in Bagdad und zwei in Basra wurden Ziele von schiitischen Racheaktionen. Ministerpräsident Ibrahim al-Dschaafari ließ eine dreitägige Staatstrauer anordnen.

Die Askarija-Mosche ist für die Schiiten von großer Bedeutung. Dort sind zwei der zwölf Imame begraben, die von den Schiiten als die rechtmäßigen Nachfolger des Propheten Mohammed angesehen werden: Ali al-Hadi, der im Jahr 868 starb, und sein Sohn, der elfte Imam Hassan al-Askari, der 6 Jahre nach dem Tod seines Vaters ums Leben kam. Die Schiiten glauben auch, dass der Mahdi, der letzte und zwölfte Imam, im Inneren des Gebäudes verschwunden ist. Nach schiitischem Glauben soll er vor dem Tag des jüngsten Gerichts zurückkehren und auf der Welt wieder für Gerechtigkeit sorgen.

Eine Sprecherin des US-Militärs sprach von einem katastrophalen Schaden. Der Anschlag fällt in eine Zeit politischer Spannungen zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen, die sich seit Wochen nicht auf die Zusammensetzung der neuen Regierung einigen können.

Erst am Montag hatte der US-Botschafter in Bagdad, Zalmay Khalilzad, die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen des Landes aufgefordert, sich zusammenzureißen. Ansonsten, warnte er, „werden wir nicht Milliarden amerikanischer Ressourcen investieren, um irakische Institutionen zu fördern, die von einzelnen religiösen und ethnischen Gruppen als ihr Eigentum betrachtet werden“.