Zwischen Flohmarkt und Weltdeutung

FUNDGUT Benin, China und der Hamburger Hafen: Georges Adéagbo, beinahe manisch zu nennender Sammler, folgt in seinen materialreichen Installationen weit verzweigten Spuren rund um den Globus

Als erster Afrikaner überhaupt erhielt der Seiteneinsteiger einen der Ehrenpreise der Biennale-Jury von Venedig

VON HAJO SCHIFF

In Shanghai als einzige deutsche Stadt auf der Weltausstellung mit eigenem Haus vertreten: Was China-Kontakte angeht, kennt Hamburg das ansonsten zur Schau gestellte Understatement nicht. Immerhin 400 chinesische Firmen sind an der Elbe vertreten, 700 Hamburger Firmen wiederum unterhalten Geschäftsbeziehungen in die Volksrepublik – da ist die Selbsternennung des für den China-Handel wichtigsten europäischen Hafens zum europäischen China-Kompetenz-Zentrum nicht ganz abwegig.

All das muss ein afrikanischer Künstler wie Georges Adéagbo nicht unbedingt wissen, auch wenn er seine Installationen stets ortsspezifisch ausrichtet. Aber mit Stephan Köhler hat er einen Vermittler, Manager und Archivar in Hamburg. Zudem hatte er bereits begonnen, für die Guangzhou Triennale 2008 und die Beijing Biennale 2010 Arbeiten zu entwerfen. Beide Einladungen nach China zerschlugen sich – aus technischen und inhaltlichen Gründen.

Und so hat der beinahe manisch zu nennende Sammler aus Benin sein Material mit wiederholten Gängen auf Hamburger Flohmärkte ergänzt und in einer Woche Aufbau für seine erste Hamburger Ausstellung aufbereitet.

Aus vielfältigem kulturellem Fundgut deutet Georges Adéagbo verzweigte Spuren zwischen Afrika, China und Deutschland. Drei Flugzeugmodelle, mehrere in Benin von Schildermalern kopierte chinesische Revolutionsplakate, 47 Bücher, zahllose Fotokopien, Drucke, E-Mail-Ausdrucke und handschriftliche Zettel, gebrauchte Kleidung und afrikanische und chinesische Figuren: Erst bei längerem Lesen erschließt sich zwischen den in gute Nachbarschaft gezwungenen 251 Elementen für die Betrachter eine Geschichte, eine immer andere, die ebenso subjektiv sein wird wie die ursprünglich getroffene Auswahl.

So sehr plastisches und farbliches Verständnis bei seinen Assemblagen eine Rolle spielt, versteht sich Adéagbo nicht als Maler oder Bildhauer, ja nicht einmal als Künstler. Eher als Katalysator, als voodookundiger, geradezu magischer Agent für die Wirkungen und Aspekte, die sich zwischen Menschen, Worten und Dingen entwickeln können.

1942 im damaligen Königreich Dahomey als Ältester von 11 Geschwistern geboren, studierte er später in Paris, wurde aber beim Tode seines Vaters von der Familie nach Benin zurückgerufen. 23 Jahre hat er dort eigenbrötlerisch und allein für sich seinen Zugang zur Welt in Dingen geordnet.

Erst 1993 entdeckte ihn zufällig der Kunstbetrieb, und ein Jahr später hatte Adéagbo seine erste Ausstellung in Frankreich. 1999 wurde seine in privater Initiative begonnene Straßenausstellung vor dem Arsenal von Venedig ins offizielle Programm aufgenommen: Als erster Afrikaner überhaupt erhielt der Seiteneinsteiger einen der Ehrenpreise der Biennale-Jury von Venedig. 2002 nahm er mit einer großen Arbeit an der Documenta 11 teil. So ist Adéagbo, den man in seiner Heimat einst gar in die Psychiatrie schickte, in der Kunst angekommen: irgendwo zwischen der Materialästhetik von Christian Boltanski und den subjektiven Enzyklopädien der Hamburgerin Anna Oppermann.

„Die Kunst sollte bilden, Bildung geben und die Welt unterrichten …“, steht auf einem handgeschriebenen Zettel, der sich nun in der Hamburger Installation findet. So sei ins Bewusstsein gerufen, in welchem Umfang China in Afrika an Einfluss gewinnt: Beispielsweise wurde in Adéagbos Heimatstadt Cotonou das Außenministerium von Benin bis hin zu den chinesisch beschrifteten Feuerlöschern komplett durch Chinesen errichtet. Schon 1960 baute China in Tansania eine Eisenbahn, heute sind in Afrika über 1.600 Kilometer Gleise von chinesischen Arbeitern verlegt worden, an neuen Fußballstadien arbeiten chinesische Kräfte in gleich 17 afrikanischen Ländern. Mehr als eine Million Chinesen haben sich in dem Kontinent angesiedelt, mit dem China seinen Handel im letzten Jahrzehnt verzehnfacht hat.

Die neokoloniale Rechnung ist simpel: Einfache Konsumgüter und umfangreiche Infrastruktur gegen dringend gebrauchte Bodenschätze, und dabei werden auch diktatorische Regimes gerne unterstützt.

Georges Adéagbo – La Culture et les Cultures. La Chine à Hambourg: bis 22. April, Galerie Holzhauer, Hamburg