HAUSTIERE (VI)
: Hunde die Herren

Hier tollten sich Hunde über Hunde

Wir hatten den klappernden Kleinwagen kurz vor der S-Bahn-Brücke Kantstraße/Westkreuz abgestellt. Dann ging es zu Fuß – wir wanderten für unsere Fitness – durch einen Mischwald. Hannah war der Stadtteil völlig unbekannt. Mir ehrlich gesagt auch, nur konnte ich das ihr gegenüber nicht zugeben, wähnte ich doch einen alten Bekannten aus gemeinsamer süddeutscher Schulhaft in der Nähe und tat so, als würde ich mich blind auskennen. Ein glasklarer Zungenbeckensee, Erbe der letzten Eiszeit, liegt gleich vor uns, hatte ich Hannah versprochen. Ein paar hundert Meter, du musst dir keine Trekking-Schuhe anziehen. Und das, obwohl man vorerst nichts sah als endlose Fluchten von Neubauarealen, hohe Zäune, schwarz lackierte Vierradjeeps, Villen ohne Namenschilder auf der Klingel und Gehwege, die längst von der Vegetation zurückerobert worden waren.

Wir verliefen uns, bis uns ein Rentnerpaar freundlich den Weg wies. Es ging hangabwärts und ein stechender Geruch stieg uns bald in die Nase. Hannah, die sich mit derartigen Aromen auskennt, sagte, es stinkt nach Hund: nicht etwa nach Schoßhündchen, sondern nach Rottweiler, Schäferhund, Sibirien Husky und Dogge im Überfluss.

Und plötzlich öffnete sich der dichte Wald, ein spitzer See tauchte vor uns auf, wir passierten ein hüfthohes Holzgatter, hier tollten sich Hunde über Hunde, ohne Leine oder Herrchen, ein städtisch ausgewiesenes Auslaufareal, die Tiere sprangen – obwohl es die Schilder verbaten – ins Wasser, spurteten von hier nach dort, schnappten nach Luft, Insekten und menschlichen Waden. Bellten und kackten nach Lust und Laune. Hier waren sie die Herren.

Hannah ächzte, klemmte sich die Nase ab und sagte, schnell weg von hier. Ich wollte noch das Grunewaldschloss besichtigen. Doch Hannah zeterte und führte mich zurück in die Berliner Moderne. TIMO BERGER