: Apel dislt daneben
Die deutsche Biathlonstaffel verliert den Kampf um die Goldmedaille gegen die Russinnen am Schießstand – auch ohne Uschi Disl
AUS TURIN FRANK KETTERER
Uwe Müßiggang ist der Mann hinter dem Fernglas, der mit dem Viertagebart und dem Funkgerät. Meist steht er ziemlich regungslos da hinter seinem Glas, beinahe ungerührt, dann wieder schaut er hindurch und spricht gleich anschließend in sein Funkgerät. Und manchmal sieht man ihn kurz die Arme nach oben reißen oder eine Faust ballen und lächeln, dann nämlich, wenn mal wieder eine deutsche Biathletin irgendwo irgendwas gewonnen hat. Müßiggang ist der starke Mann hinter all den erfolgreichen Frauen im deutschen Biathlon, der Bundestrainer, seit 14 Jahren schon. Es muss ein sehr schöner Job sein, jedenfalls sah man ihn in letzter Zeit sehr oft die Fäuste ballen oder die Arme in die Höhe reißen.
Am Dienstag war es ein Scheißjob, jedenfalls fiel er Uwe Müßiggang an diesem Tag unendlich schwer. Er hatte eine Entscheidung getroffen, und nun musste er sie bekannt geben. Die Entscheidung lautete: Uschi Disl, Deutschlands erfolgreichste Biathletin, wird in Turin nicht im Staffelwettbewerb laufen. Müßiggang sah ziemlich traurig aus, als er das verkündete, aber er musste es tun. Es ist seine Art, streng nach Leistung zu entscheiden. Und die Leistung sprach gegen die 35-Jährige vom SC Moosham, so bitter das klingen mag, schließlich war Disl immer in der deutschen Staffel mit dabei, seit Frauen-Biathlon olympisch ist. Aber diesmal war sie zuvor Zwölfte im Einzelrennen geworden, 34. gar nur im Sprint, in der Verfolgung folgte dann lediglich ein zehnter Platz. Biathlon besteht ja nicht nur aus Skilaufen, sondern auch aus Schießen. Insgesamt zwölfmal hat sie in den bisherigen drei Rennen danebengedislt. In einer Mannschaft, in der sich die Weltklasse versammelt wie in kaum einem anderen deutschen Team, ist das zu viel. Uschi Disl sagte: „Ich kann Uwes Nominierung nachvollziehen und akzeptieren, denn wir sind eine starke Mannschaft.“ Müßiggang, der nicht nur Bundestrainer, sondern auch Disls Heimtrainer ist, merkte an: „Ich wollte sie nicht der Gefahr aussetzen, dass sie sich mit einem verpatzten Staffelauftritt von Olympia verabschiedet.“ Außerdem sagte er: „Katrin Apel hat zuletzt die konstanteren Schießleistungen erbracht.“
Vielleicht hat Uwe Müßiggang während des gestrigen Staffelrennens mal an diesen Satz denken müssen, kurz bevor er wieder in sein Fernglas schaute. Das Rennen jedenfalls war ganz dazu angetan: Für die Deutschen eröffnete es Martina Glagow. Glagow schoss dreimal daneben und übergab mit 12,5 Sekunden Rückstand auf Russland. Ihr folgte Andrea Henkel. Henkel schoss zweimal daneben und übergab mit 32,2 Sekunden Rückstand auf Russland. Dann kam Katrin Apel, der Disl-Ersatz. Apel musste beim zweiten Schießen, dem im stehenden Anschlag, dreimal nachladen und einmal in die Strafrunde. Als sie an Kati Wilhelm übergab, hatte Katrin Apel 1:10,9 Sekunden Rückstand, und das Rennen war so gut wie sicher verloren, zumindest war es kaum mehr zu gewinnen. Wilhelm verfolgte die souveränen Russinnen zwar so gut sie konnte, aber selbst zwei fehlerlose Schießen und die mit Abstand schnellste Laufzeit reichten nicht zu mehr als: Silber.
„Wir haben Gold angestrebt. Aber das war die souveränste Staffelleistung der Russinnen, die ich je gesehen habe“, kommentierte Uwe Müßiggang, der Bundestrainer, nach dem Rennen. Schon lange davor hatte er versprochen: „Am Samstag im Massenstartrennen wird Uschi Disl laufen.“
Und während sich im deutschen Lager weiter beinahe alles um die gute Uschi Disl drehte, sorgte die nunmehrige Doppelolympiasiegerin Swetlana Ischmuratowa mit einer Äußerung für Aufsehen ganz anderer Art. „Wir sind bei ihr“, sagte sie und meinte ihre Teamkollegin Olga Pylewa, die nach dem Rennen über 15 Kilometer des Dopings überführt worden war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen