Realeinkommen befinden sich im Sinkflug

Kaufkraft verringert sich im Jahresvergleich um 1,2 Prozent. Neue Zahlen heizen Debatte um Mindestlohn an

BERLIN taz ■ Hohe Preise, geringere Lohnsteigerungen – im vergangenen Jahr führte dies erneut zu einem Rückgang an Kaufkraft für die Beschäftigten. Dies ergeben Zahlen, die das Statistische Bundesamt gestern veröffentlichte. Danach sind die Bruttodurchschnittsverdienste aller ArbeitnehmerInnen in Deutschland im Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,4 Prozent gestiegen. Die Verbraucherpreise haben sich im gleichen Zeitraum aber um zwei Prozent erhöht.

Dabei drückten auch die inzwischen 300.000 Ein-Euro-Jobs auf den Durchschnittsverdienst. Schaltet man diesen dämpfenden Effekt aus, ergibt sich für das vergangene Jahr ein Zuwachs der Durchschnittsverdienste um 0,8 Prozent gegenüber 2004. Auch dies würde jedoch angesichts der Preissteigerung noch einen Verlust an Kaufkraft von 1,2 Prozent bedeuten.

Ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin, die in der Industrie oder im Dienstleistungssektor in Vollzeit ackerte, erhielt im vergangenen Jahr ein monatliches Entgelt von durchschnittlich 3.024 Euro brutto, mit großen Ost-West-Unterschieden. Im Westen lag der Durchschnittsverdienst bei 3.118 Euro, im Osten nur bei 2.263 Euro.

Zeitgleich mit den neuen Entgeltzahlen kam die Debatte um einen Mindestlohn wieder in Fahrt. Ein Zeitungsbericht, wonach CDU- und SPD-Kreise angeblich schon einen gesetzlichen Mindestlohn von sechs Euro die Stunde erwägen, wurde gestern von der Politik nicht bestätigt. Welche Möglichkeiten die große Koalition bei der Ausgestaltung des Mindestlohns finden werde, sei „noch längst nicht beantwortet“, erklärte SPD-Fraktionschef Peter Struck. Es müsse geprüft werden, wie sich ein Mindestlohn „gesellschaftlich auswirke“ und ob er nach „Branchen oder Regionen“ differenziert werden müsse. Arbeitsminister Franz Müntefering werde dazu im Herbst Vorschläge präsentieren, sagte Struck.

Beim Mindestlohn gibt es zwei unterschiedliche Konzepte. Der eine Vorschlag, von den Gewerkschaften favorisiert, sieht einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen vor. Die Gewerkschaft Ver.di hat dafür einen Stundenlohn von 7,50 Euro brutto ins Gespräch gebracht. Das Problem: In manchen Regionen und Branchen, besonders im Osten, müssten die Löhne eigens angehoben werden. Arbeitgebervertreter warnen, dass dies Jobs vernichten könnte.

Das zweite Konzept beinhaltet die Festsetzung von differenzierten Mindestlöhnen je nach Branche und Region. Dabei könnten die bereits existierenden untersten Tariflöhne als allgemeinverbindliche Mindestentgelte festgelegt werden. Allerdings wären solche differenzierten Lohngrenzen nur schwer kontrollierbar. Branchenunterschiedliche Mindestentgelte könnten daher nur auf einen gesetzlichen Mindestlohn „aufsetzen“, sagte Reinhard Bispinck vom gewerkschaftsnahen WSI-Tarifarchiv der taz.

BARBARA DRIBBUSCH

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