Die Besatzer sind ratlos

Die USA und Großbritannien rufen zur Gewaltlosigkeit auf. Ein hilfloser Appell. Ihre Pläne zum Teilabzug ihrer Truppen und zur Staatsbildung drohen angesichts der explosiven Lage Makulatur zu werden

BERLIN taz ■ Offiziell spielten die Regierungssprecher aus den USA und Großbritannien in den vergangenen zwei Tagen die Gefahr herunter: Von einem drohenden Bürgerkrieg zu sprechen bedeute eine „Überbewertung der Situation“, sagte in Washington der Sprecher des US-Außenministeriums, Adam Ereli. Es sei doch nichts Neues, dass einige „Elemente“ unterwegs seien, um die Bildung eines geeinten Irak zu verhindern und religiöse Gewalt anzufachen. US-Präsident George W. Bush hatte zuvor den Anschlag auf den Schrein verurteilt: „Gewalt wird nur dazu beitragen, dass die Terroristen ihr Ziel erreichen.“

Auch der britische Außenminister Jack Straw verurteilte die Anschläge, sah aber trotzdem Grund zum Optimismus: Die hohe Wahlbeteiligung im Dezember und die Tatsache, dass alle Seiten den Anschlag auf die Goldene Moschee verurteilten, zeige, dass die Mission der Terroristen fehlschlage.

In Wirklichkeit aber wissen beide Regierungen: Irak steht heute am Rand eines Bürgerkriegs, und die Debatte darüber, unter welchen Bedingungen die US-amerikanischen und britischen Truppen abziehen könnten, dürfte völlig neu geführt werden. Dass vor allem die britischen Besatzungstruppen im Südirak mehr oder weniger offen auf die Mithilfe der schiitischen Milizen gesetzt haben, könnte sich jetzt als folgenschwerer Fehler herausstellen.

Derzeit stehen rund 136.000 US-Soldaten und 8.000 britische im Irak. Bislang war das Postulat der USA, einen Großteil ihrer Truppen dann abzuziehen, wenn die irakische Armee und Polizei selbst in der Lage wären, die Aufständischen zu bekämpfen. Immer öfter wurden bei Militäraktionen gegen sunnitische Aufstände irakische Soldaten an die vorderste Front geschickt, doch allen offiziellen Erfolgsmeldungen zum Trotz wurde aus Militärkreisen stets berichtet, dass diese Einheiten zu selbstständigen Aktionen noch längst nicht in der Lage seien. Im Übrigen hängt die Frage, ob die Iraker selbst diese Verantwortung übernehmen können, auch von der Regierungsbildung ab. Noch Anfang der Woche hatte der US-Botschafter im Irak, Zalmay Khalilzad, die schiitischen Politiker kritisiert und mit dem Entzug der Unterstützung gedroht, wenn sie weiter auf der Ausgrenzung der Sunniten bestünden.

Angesichts eines drohenden Bürgerkriegs, bei dem es längst nicht mehr um einen Kampf der Regierung versus Aufständische gehen würde, ist die bisherige Abzugsstrategie nicht mehr zu halten. Nur: Welche Rolle könnten und sollten die Besatzungstruppen eigentlich spielen, wenn Sunniten und Schiiten aufeinander losgehen?

Weder London noch Washington haben auf diese Fragen bislang eine Antwort. Gemeinsam mit der irakischen Regierung rufen sie zur Gewaltlosigkeit und zur Isolation der Täter auf. Ob das aber mehr sein kann als nur ein verzweifelter Appell in einer Situation, die außer Kontrolle zu geraten scheint, bleibt abzuwarten. BERND PICKERT