Taler, Taler, du musst wandern

ZEITREISE Der Delmenhorster Mittelaltermarkt macht skurrile Erwachsenenhobbys zu einem Abenteuerland für Kinder. Allerdings gibt es bei dem Folklorefest wenig umsonst

Das folkloristische Fest ist eine Art Mottoparty beim Campingurlaub. Nur dass das hier ernst genommen wird

VON JENS FISCHER

Entschleunigung ist im Preis inbegriffen. Wenn sich Gäste eine Eintrittskarte für den Mittelaltermarkt kaufen, fällt der Alltag ab. Um auf der burglosen Burginsel Delmenhorsts sowie einer angrenzenden Wiese die Renaissance des Rittertums sowie apart männerbündlerische und höfische Verhaltensweisen als Historienspektakel zu feiern.

Feierabendentspanntes Barfuß-Schlendern durch die weiße Zelt- und Budenstadt. Dabei anzutreffen sind keck aufgebrezelte Burgfrolleins, tiefenentspannt zum Kampf gerüstete Ritter, trinkfest fidele Mönche, zeitlos schön dahinschreitende Prinzessinnen, schabernackende Gaukler, Folk-Musikanten und Händler, deren Marketingkonzept wohl bewusst hanseatisch zurückhaltend ist: Geradezu beiläufig bieten sie mittelalterlich anmutenden Nippes an – Schmuck, Textilien, Felle, Waffen und Kunsthandwerk. Auch eine Fechtschule und Freunde des Schwertkampfes werben für sich.

Schon ein ungewöhnliches Konzept: Klar, auch in der unaufgeklärt finsteren Epoche Europas mussten Menschen Eintritt zahlen, um am Stadtleben und Marktgeschehen teilzuhaben. Aber einen Obolus entrichten, um an Verkaufsständen entlang bummeln zu dürfen, das ist doch gewöhnungsbedürftig. Auch wenn es neben dem Kommerz ein kostenloses Rahmenprogramm gibt.

Das folkloristische Fest ist eine Art Mottoparty beim Campingurlaub. Nur dass das hier ernst genommen wird. Von den annähernd 200 Teilnehmern verbringen die meisten öffentlich-privat einige Tage unter Gleichgesinnten, in historisch korrekten oder Fantasiekostümen – egal. Hauptsache, kein purer Verkleidungsulk, sondern historisches Interesse motiviert die Teilnehmer.

Trotzdem wird der Markt nicht zum Heimatmuseum-Theater: Alle feiern ihr ganz eigenes Mittelalter. Rustikaler Schick in sauberem, rattenfreiem, nettem, detailfreudig geschmücktem Setting. Man rollenspielt mit humorvoll gedrechseltem Pseudo-Altdeutsch. Und sucht heute im Gestern die bessere Welt. Gegen die Anonymität des zeitgenössischen Massenmordens wird die Ideologie des angeblich sportlich ehrlichen Kampfes, Mann gegen Mann, gepriesen.

Gemütlich ist es. Teekessel dampfen, Suppenbottiche brodeln, tote Tiere schwitzen über glühender Holzkohle. Getrunken werden Drachenblut, Landbier, Obstweine und Pestwasser. Dabei kommen Beamte, Juristen, Ärzte mit jungen „Wacken“-T-Shirt-Trägern und der Rocker-Motorradszene zusammen. Alle investieren Urlaub, sehr viel Geld und freuen sich stets, angesprochen zu werden. Einige präsentieren handwerkliches Geschick, schnitzen Steckendrachen oder so herrlichen Unsinn wie Seifenblasenflöten.

In Deutschland gibt es diverse, untereinander nicht gerade freundlich gesinnte Anbieter dieser Märkte. Die ganz großen, überregionalen Festspiele mit richtigen Turnieren zu Pferde wie in Rastede – sie existieren neben den kleinen, regional orientierten Veranstaltungen wie in Delmenhorst.

Dieser Markt kostet in seiner fünften Auflage erstmals Eintritt, genauso wie andernorts auch. Nicht viel, drei Euro, aber den Zulauf schränken Kassierer am Tore schon ein.

Zulauffördernd hingegen ist die Fokussierung auf Gelüste der Kinder, für die all die skurrilen Erwachsenenhobbys durchaus ein Abenteuerland sind. Für sie gibt es die Anbieter von Fünf-Euro-Holzschwertern im Mittelpunkt, die Märchenerzähler, Kleinmädchenschmuckbastler, Eisverkäufer und Puppenspieler. Im Falkner-Streichelzoo gibt es Uhus, außerdem recht locker improvisierte Showkämpfe, Bogenschießen und Axtwerfen. Ach, wie familienfreundlich ein Kurztrip ins Mittelalter sein kann.

Der Delmenhorster Markt heißt „Graf Gerds Stadtgetümmel“. Der Name erinnert an Graf Gerhard VI., der im Ruf steht, unbeherrschtes Raubein, streitsüchtiger Raubritter, gar Straßenräuber gewesen zu sein. Als machtbewusster Adliger soll er im 15. Jahrhundert Delmenhorst gegen die Machtansprüche Bremens, Oldenburgs, Münsters und der ostfriesischen Häuptlinge verteidigt haben. Aber für das Volksfest ist das irrelevant.