Generation Wave spielt nicht mehr mit

PUNK AUS MYANMAR Side Effect aus Myanmar rockten erst im White Trash, dann als Vorgruppe der Ärzte. Die Punks aus dem ehemals abgeschotteten, jahrzehntelang von einer Militärjunta regierten südostasiatischen Land betrachten sich als Teil einer Kulturrevolution

Side Effect rocken gegen die Verhältnisse an: „Punk ist eine Geisteshaltung. Kreativ seine Lebensumstände zu hinterfragen“

VON JENS UTHOFF

Euphorisiert und erschöpft zugleich lassen sich Darko, Jozeff K., Tser Htoo und Hein Lwin in die Sofas fallen. Sie schmeißen die Gitarren in die Ecken. Drummer Tser, zurückgekämmtes, pomadengeöltes Haar, aus dem die Strähnen heraushängen, reicht Biere und Tüte herum. Er grinst breit. Das zweite Konzert seiner Band in Berlin liegt gerade hinter ihm. Der Backstageraum des White Trash Fast Food ist am späten Mittwochabend voll. Freunde strömen herein, um die birmesischen Musiker zu begrüßen. Tser freut sich derweil auf die nächsten, größeren Konzerte – es werden Open Airs mit den Ärzten sein. „Das wird großartig, vor 10.000 Leuten und mehr zu spielen“, sagt er. Sänger Darko fügt hinzu: „Eine Ehre für uns, unglaublich.“

Side Effect kommen aus Yangon, der ehemaligen Hauptstadt Myanmars. Sie spielen eingängigen, punkigen Indierock, der an den Sound von Bands wie Bloc Party oder den Strokes erinnert. Nachdem sie bereits im vergangenen Dezember im Festsaal Kreuzberg ein gefeiertes Konzert gegeben haben, spielten sie nun vor etwa 150 Besuchern im Club in Prenzlauer Berg. Gleichzeitig wurde das Release von „Yangon Calling“ gefeiert. Das vom Berliner Journalisten und Filmemacher Alexander Dluzak herausgegebene Buch gibt einen Einblick in die Subkulturen des Landes Myanmar und erscheint nun zusammen mit dem gleichnamigen Film von 2012.

Würde man Side Effect hierzulande wohl als überdurchschnittlich gute, aber keinesfalls revolutionäre Band bezeichnen, so kann man das sehr wohl, wenn man die politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland berücksichtigt. Im Demokratie-Ranking des Economist etwa taucht Myanmar im Jahr 2012 auf Rang 155 auf, knapp vor dem Iran. Zwar sind leichte Verbesserungen zu vernehmen, nachdem die Regierung von einer knapp 50 Jahre andauernden Militärjunta im Jahr 2011 zu einem zivilen Präsidenten überging – ein autoritäres, repressives Regime aber herrscht derzeit noch immer. Myanmar zählt darüber hinaus (zumindest laut Human Development Index der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr) zu den 50 ärmsten Ländern der Erde.

Side Effect rocken gegen die Verhältnisse an. Sie sehen sich als Punks. Und wenn Darko sagt: „Punk ist eine Geisteshaltung. Kreativ und aktiv seine Lebensumstände zu hinterfragen, darum geht es“, dann klingt es nicht abgelutscht: „Veranstaltungsorte wie diesen hier gibt es bei uns nicht“, fährt er fort. Ein für sie typisches Konzert in Myanmar beschreibt er wie eines mit Gemeinschaftshaus-Flair: „Mit kniehoher Bühne und wenig Atmosphäre.“

Darko erzählt weiter, dass sie in Myanmar ihre Texte noch immer bei offiziellen Stellen anmelden müssen. Sie selbst hatten zwar bisher kaum Probleme mit den Zensurbehörden, vor wenigen Jahren noch war es aber gang und gäbe, dass Musiker Texte abändern mussten. Den Tiger Girls, Myanmars erster Girlgroup überhaupt, erging es etwa so. Die Subkulturen des Landes, insgesamt gesehen sehr marginal ausgeprägt, sind im Übrigen noch sehr männlich dominiert.

Alexander Dluzak und Carsten Piefke haben sich in ihrer Film-Doku mit der Punkszene des Landes, nun im Buch mit weiteren subkulturellen Strömungen beschäftigt. Es gibt Kapitel zur HipHop-, Skater-, Graffiti-/Street-Art und Hardcore-Szene, auch der gesellschaftliche Status von Frauen, die den subversiven Gruppierungen angehören, wird dargestellt.

Im Demokratie-Ranking des „Economist“ taucht Myanmar auf Rang 155 auf, knapp vor dem Iran

„Als wir 2010 in Myanmar recherchiert und gefilmt haben, war es für Journalisten noch verboten einzureisen“, berichtet Dluzak. Mittlerweile ist das Verbot aufgehoben. Dafür werden Mail-Accounts von Journalisten staatlicherseits gehackt – was allerdings auch in Superdemokratien vorkommen soll.

Die Generation Wave sei ein wichtiger Impuls für die Jugendlichen des Landes gewesen, erklärt Piefke. Dies ist eine 2007 gegründete birmesische Protestbewegung, die mit subkulturellen Praktiken via Street Art, Hip-Hop-Songs und verfremdeten Filmen gegen Repression und das Joch der Armut rebellierte. Zunächst wurden die Politaktivisten verhaftet und die Bewegung zerschlagen. Mittlerweile sind fast alle wieder frei. Zayar Thaw, ein ehemaliger HipHop-Aktivist, sitzt heute für ein Demokratiebündnis im Parlament. Dluzak beschreibt die derzeitige politische Entwicklung im Buch als „vorsichtigen Demokratisierungsprozess“.

Die Band Side Effect wartet weiter auf den Durchbruch in Myanmar. In ihrem Heimatland muss man sie noch zur Avantgarde zählen. Mit Coverversionen des Ramones’schen „Blitzkrieg Bop“ oder dem Cure-Song „Boys don’t cry“, mit denen sie im Keller des White Trash für gute Laune sorgen, ist das hierzulande kaum vorstellbar. Handwerklich, das zeigt die Band beim Konzert, sind sie insbesondere an Leadgitarre und Schlagzeug bestens ausgestattet, um irgendwann mehr als nur big in Myanmar zu werden.

■ Alexander Dluzak (Hg.): „Yangon Calling. Musik, Subkultur und Politik in Myanmar“. 240 Seiten, mit DVD. Lieblingsbuch Verlag, Berlin 2013, 24,90 Euro