Korsett der Begriffe

Sprache als größte Herausforderung für das tiefste aller Gefühle: Alexander Kluges fünf Liebesszenen „Hunger nach Sinn“ feiern am Sonntag am Schauspielhaus ihre Hamburger Premiere

von JAN FREITAG

Eigentlich ist Alexander Kluge ja ein Mann des Films, des Fernsehens sogar. Eines Massenmediums also, was ihn nicht unbedingt prädestiniert als Ideengeber für die im Feuilleton weitaus höher angesehene Sprechbühne. Eigentlich. Denn tatsächlich verschwimmt die Grenze zwischen TV und Theater seit langem; so wie es ein Ulrich Tukur längst von Deutschlands anerkannt bestem Bühnenschauspieler über die Intendanz der Hamburger Kammerspiele in den Sat1-Blockbuster Die Luftbrücke geschafft hat, ohne dabei an Renommee zu verlieren, so macht es Alexander Kluge eben umgekehrt.

Der mittlerweile 74 Jahre alte Büchner-Preisträger hat den Neuen Deutschen Film der Sechziger- und Siebzigerjahre an der Seite von Rainer Werner Fassbinder oder Volker Schlöndorff maßgeblich mitgeprägt, gilt als einer der großen Fernsehkritiker im Land und verhalf mit der Gründung seiner „Development Company for Television Program“ – kurz „dctp“ – durchaus sperrigen Kulturformaten wie „10 vor 11“ (RTL) sogar bei den Privatsendern zu ein paar hart umkämpften Minuten Sendezeit.

Dass eines seiner literarischen Werke nun zum Theaterstoff wird, ohne dadurch Kluges televisionäre Vergangenheit zu entwerten, spricht für die Vereinbarkeit beider Medien. Vor allem aber dafür, wie sehr sie sich gegenseitig befruchten können, nimmt man die Scheuklappen ab. Vielleicht ist sein Stück Hunger nach Sinn, das jetzt im Rangfoyer des Deutschen Schauspielhauses Hamburger Premiere feiert, aber auch deswegen so geeignet für die Bühne, weil es die Arbeit des intellektuellen Filmavantgardisten Alexander Kluge quasi heimholt in die Unmittelbarkeit der Live-Performance.

Hunger nach Sinn, das sind fünf Szenen über die Liebe aus verschiedensten Perspektiven, die unter der Regie des gerade mal 29-jährigen Kevin Rittberger bereits am Stuttgarter Staatstheater für stattliche Aufmerksamkeit gesorgt haben. Das Thema aller Themen von der Zwei- in die Dreidimensionalität zu transponieren, entspricht womöglich mehr dem Zeitgeist als jedes zeitgenössische Liebesgedicht, jeder klassische Romeo- und-Julia-Stoff. Liebe erlernt man heute schließlich nicht selten virtuell, am Computer, im Chatroom, vorm Fernseher, um sie erst dann praktisch auszutesten.

Bei Kluge geht das dann laut Stückbeschreibung so: Ein Mann möchte hören, dass er geliebt wird. Ein anderer fragt sich, warum die Uneinigkeit eines befreundeten Ehepaares eigentlich Einigkeit stiftet. Ein Richter will eine aus Liebesschmerz begangene Straftat juristisch zu fassen bekommen. Ein KZ-Funktionär protokolliert ein Experiment, das die Liebe zweier Gefangener mit bürokratischer Perfektion zu instrumentalisieren versucht. Scheinbar widersprüchliche Konstellationen, die sich aber darin ähneln, Sprache als größte Herausforderung für das tiefste aller Gefühle zu beschreiben.

Es geht also um das Vokabular der Liebe, um Zwiegespräche und Austausch. Denn gespielt als Zwei-Personen-Stück von Ute Hannig und Felix Kramer, ist Hunger nach Sinn ein permanenter Dialog beiderseits der tiefen Gräben unserer Sprachlosigkeit, nicht selten also eine wahllose Aneinanderreihung von Monologen. Eine echte Sprache des Gefühls zu entwerfen, zeigt sich als permanenter Kampf. Mit Worten als Waffen, die stets in das Korsett feststehender Begrifflichkeiten gezwängt werden. Teils offen gewaltsam, teils subtil, oft schweigend.

Viele Zuschauer dürften sich darin durchaus wiedererkennen. Auch das ist etwas, das Fernsehen besser kann als Theater. Zum Glück aber nicht immer.

Hamburg-Premiere: So, 26. 2., 20 Uhr, weitere Vorstellungen: 10. + 24. 3., 22 Uhr, Schauspielhaus